Der Augenblick des Lernens
Graz, September 2005 - Nach Erkenntnissen einer Forschergruppe des Instituts für Informationssysteme der TU und der FH Johanneum in Graz werden benutzerfreundliche eLearning Umgebungen sich zukünftig den Bedürfnissen der Anwender besser anpassen können. Joscha Remus sprach für CHECKpoint eLearning mit Maja Pivec, der Leiterin des Projektes ADELE, welches angepasstes Lernen durch Eye-Tracking ermöglicht.
Graz, September 2005 - Blickbewegungen fördern nicht nur Augenscheinliches zutage, sondern können auch tiefe Einblicke in das Lernverhalten von eLearning Anwendern gewähren. Joscha Remus besuchte für CHECKpoint eLearning die FH Joanneum, eine Forschungsstätte in Graz, die sich in einem Projekt dem Thema Lernoptimierung durch Eye-Tracking verschrieben hat und sprach mit der Koordinatorin Maja Pivec, über Adaptivität in Echtzeit, dynamische Hintergrundbibliotheken und die Zukunft des eLearning.
Frau Pivec, ihre internationale Forschergruppe sucht nach neuen Lösungen in der Welt des eLearning und stützt sich dabei auf aktuelle Erkenntnisse der Lernforschung. Worauf muss sich ein eLearner der Zukunft einstellen?
Maja Pivec: Zukünftig wird sicherlich der Benutzer verstärkt in den Mittelpunkt der Entwicklung von Lernumgebungen rücken. Individuelle Lern- und Wahrnehmungstypen werden von der Lernumgebung erkannt werden und die vermittelnden Systeme stellen sich entsprechend auf den Lernenden ein. Hier am Joanneum in Graz haben wir mit der Lernumgebung ADELE bereits einen Prototypen einer solchen adaptiven Lernsoftware konzipiert. ADELE steht dabei für "Adaptive eLearning with eTracking". Mittels einer in den Screen integrierten Infrarotkamera werden die Blickbewegungspfade der Lernenden aufgezeichnet, berechnet und analysiert.
Das Analysieren der Blickbewegung wird aber doch schon länger, beispielsweise in der Werbeforschung verwendet, was ist das Neue an ihrem System?
Maja Pivec: In der Tat, die Blickbewegungsforschung ist etwa schon 100 Jahre alt. Das Neue bei unserem Ansatz ist die Koppelung von eLearning, Adaptation und Eye-Tracking. ADELE erfasst und analysiert ja nicht nur die Blickbewegung, sondern zieht Rückschlüsse aus den Sakkaden, also den Bewegungsfolgen und dem Ort und der Dauer einer Fixation. Die Blickbewegungen sind den Lesern, den Nutzern zum großen Teil unbewusst. Wenn sie hinterher sehen, wie ihre Blicke verlaufen sind, so sind sie nicht selten überrascht.
ADELE kann die Verweildauer eines Blicks unterschiedlich abbilden. Zum einen durch Kreise. Je größer der Durchmesser eines solchen Kreises, desto mehr Zeit hat der Lernende visuell an diesem Ort verbracht. Aber auch durch Farben. So zeigen rote Bereiche, die Hot Spots an, die die Aufmerksamkeit des Lernenden am meisten gefesselt haben.
Nun gut, aber welche Rückschlüsse gewinnen Sie konkret daraus und wie stellt sich das System auf die Vorlieben des Lerners ein? Wie reagiert es auf die Gewohnheiten eines Nutzers?
Maja Pivec: Wir wollen natürlich verstehen, warum der Anwender einen bestimmten Textabschnitt, ein Bild oder eine Grafik bevorzugt und warum andere Passagen übersprungen werden. Kennt er die darin enthaltenen Informationen bereits, sind sie ihm unverständlich oder sucht der Lernende nach Anhaltspunkten, die ihm weiterhelfen? Man kann das sehr schön anhand der Verweildauer eines Blickes nachvollziehen und verdeutlichen.
Das System selbst wird dem Lernenden übersprungene Informationen später in einem neuen Kontext noch einmal anbieten. ADELE kann dem Lernenden somit eine neue Chance geben, nicht verstandene Lerninhalte in einem anderen Umfeld zu begreifen.
Das System soll sogar in der Lage sein, sich dabei auf unterschiedliche Lern - und Wahrnehmungstypen einzustellen. Wie macht es das?
Maja Pivec: Nun, sie erstellen ja bereits am Anfang mit Hilfe eines Questionaires ein Benutzerprofil. Der Lernende macht eine Selbsteinschätzung - aber manchmal schätzt man sich eben anders ein, als man wirklich ist, dann übernimmt ADELE den Part der Zuweisung: Ist der Nutzer eher ein visueller Typ, wird er Informationen schneller durch unterstützende Abbildungen aufnehmen können. Er lernt also besser, wenn Kartenmaterial, Bilder und Diagramme in den Text integriert werden. Ein Verbalizer hingegen wird den Stoff besser durch gut formulierte Textpassagen erfassen, während der "Holist" Abläufe schneller aufnimmt, wenn das Material Zusammenfassungen beinhaltet und der Inhalt in schnell zu überblickenden Passagen transportiert wird.
ADELE erkennt diese Vorlieben und passt die Aufbereitung und Struktur der präsentierten Informationen entsprechend an.
Welche Möglichkeiten hat ADELE wenn der Nutzer wirklich erkennbare Schwierigkeiten mit einer Passage oder einem Wissens-Nugget hat?
Maja Pivec: Grundsätzlich gibt es ja zwei Möglichkeiten warum ein Lerner länger auf eine Passage, ein Bild oder ein Diagramm schaut. Entweder hat er es nicht verstanden oder es interessiert ihn besonders stark. Hat ein Benutzer mit einem Gebiet wirkliche Verständnisprobleme, öffnen sich Zusatzinformationen. ADELE kann dem Nutzer konkret helfen, indem es in einem solchen Fall eine Hintergrundbibliothek anbietet. Im statischen Teil dieser Bibliothek können Grundlagen noch einmal erarbeitet werden. Im dynamischen Teil bekommt der Nutzer immer frische zusätzliche Informationen zur entsprechend schwierigen Passage aus dem Internet geliefert.
Sie können allerdings als Lernender auch von vorneherein auf das Aufklappen von Zusatzinformationen verzichten, denn dies kann den Lese- und Lernfluss ja auch unterbrechen und stören.
Könnte die Software auch anhand der Blickbewegungen auf dahinter liegende kognitive Prozesses schließen?
Maja Pivec: Man darf nicht zuviel vom Eye-Tracking erwarten, aber auf jeden Fall kann ADELE eine kognitive Überbelastung erkennen. So wird beispielsweise ein ermüdeter Lerner häufiger blinzeln. Anhand von Pupillen-Innendurchmessern könnte man auch auf die genaue Müdigkeit des Lernenden schließen, aber dies wäre vor allem für eine therapeutische Nutzung interessant.
Im Mittelpunkt unserer Forschung stand vielmehr die Frage: Können die Lernsysteme das, was sie erreichen wollen, wirklich transportieren? So eignet sich ADELE hervorragend für die Evaluation von Lernumgebungen und für das Strukturieren von Lerninhalten. Sie können eLearning Kurse und selbst ganze Wissensplattformen fundiert evaluiert und adaptiert werden. Hier gibt es immer ein Potenzial, wie man eLearning verbessern kann.
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