Gegenrede

Ein Plädoyer für die Emotionale Intelligenz

München, April 2009 - Wahres Führungskräfte-Training hat für Dr. Tobias Kiefer, Head of Global Learning & Development beim Beratungsunternehmen Booz & Company GmbH, mit der Ausbildung kognitiver Kompetenzen weniger zu tun als mit Persönlichkeitsbildung. Er erklärt CHECK.point eLearning seine Überzeugung, dass ein solches Training immer persönliche Nähe, Auseinandersetzung und vor allem konkretes Praktizieren braucht. ELearning spielt in den stark erfahrungsorientierten Trainings immer die Rolle eines Hilfsmittels - mit künftig stärkerer Bedeutung.




Herr Dr. Kiefer, welche Maßnahmen zur Weiterbildung von Führungskräften wenden Sie im eigenen Unternehmen an und raten Sie Ihren Kunden?
Dr. Tobias Kiefer: Leadership Development ist immer etwas sehr Individuelles. Statt den Führungskräften Tools an die Hand zu geben und sie in fertige Schablonen und Modelle zu pressen, ist es wichtiger, ihre Intuition und die so genannte Emotionale Intelligenz (EQ), zu schulen. Konzepte alleine helfen nicht, nur Praxis und persönliches Erfahren bewirken Veränderungen. In den Management-Trainings ist deswegen die persönliche Ansprache und das Erleben von simulierten Führungssituationen gefragt, allgemeingültige Modelle führen meist nicht zum Erfolg.

Grundlage eines wirkungsvollen Trainings ist das Verständnis des menschlichen Gehirns. Daran scheitern die meisten Lernprogramme. Seit Urzeiten ist unser Limbisches System, Amygdala, im Gehirn so geprägt, dass wir Menschen auf Gefahren oder Unbekanntes mit unbewussten Verhaltensweisen reagieren. Die Optionen heißen: fliehen, tot stellen oder kämpfen. Jeder versucht daher Fehler zu vermeiden, deshalb probieren die meisten Neues erst gar nicht aus. Da der Prozess unbewusst abläuft haben wir kaum Einfluss darauf.

Da Modelle meist allgemeingültig und theoretisch sind, können sie die Individualität des Menschen nicht widerspiegeln und sind für die Führungskraft nicht authentisch. Deshalb setzen wir bei Führungskräftetrainings verstärkt auf Experiential Learning, einer nachgewiesen hoch effektiven Lernform. Dieses Konzept adressiert die Lernfähigkeit des Limbischen Systems - was eher als ein Anpassen auf Erlebtes denn ein Lernen durch Folgen von Ratio darstellt. Man könnte das auch umschreiben mit: Was Du nicht erlebt hast und Dir daraus ein Mentale Modell gebildet hast, kannst Du nicht anwenden - Learning by doing quasi!

Um das Training sehr persönlich zu halten, arbeiten wir mit zwei rudimentären Leadership Modellen, den Leadership Attributes und den Leadership Roles. Dies führt dazu, dass die Teilnehmer nicht kopieren, sondern aktiv ihren persönlichen Leadership-Stil definieren.

Führungskräfte müssen neue Verhaltensweisen erproben, Selbstreflektion üben, nach jeder Aktion sofortiges Feedback von Kollegen oder Coaches bekommen. Dann gilt es, das Gelernte in beobachtbare Verhaltensweisen zu transferieren. Ein Persönliches Logbuch für Action Items unterstützt sie bei der Einhaltung ihrer Commitments. Devise ist: Sag' es mir und ich vergesse es. Zeig' es mir und ich werde mich erinnern. Lass es mich selbst tun und ich behalte es!

Nach wie vor ist unsere Übersetzung in die Praxis ein dediziertes Outdoor Training mit einer stark exponierten und emotionalen Komponente oder in abgespeckter Form, Simulationen, in einer Gruppe von maximal 20 Personen. Es geht letztendlich um die Fragen: Wer bin ich? Welche Verhaltensweisen prägen mich? Welche Gedanken habe ich? Wie kann ich meine Stärken nutzen um noch erfolgreicher zu sein. Maxime ist, erfahren statt unterrichtet werden, handeln statt studieren und konzipieren. Die Führungskräfte können lernen und versagen im sicheren Raum.

Welche Rolle spielt eLearning in diesem Framework?


Dr. Tobias Kiefer: ELearning mag ein geeignetes Mittel dafür sein, kognitive Fähigkeiten zu schulen, aber Emotionale Intelligenz lässt sich mit diesem Mittel nicht trainieren. Die Auswahloptionen sind zu limitiert, um die Bandbreite individueller Entscheidungen adäquat abzubilden. Sollte es jedoch in ferner Zeit die Möglichkeit geben, das emotionale Involvement abzubilden, in einer virtuellen Welt Emotionen zu erleben, wären auch Management Schulungen möglich.

Bisher ist eLearning jedoch ein kostengünstiges Tool, um das Lernen fortzuschreiben. Über geschlossene Communities lassen sich die Teilnehmer beispielsweise an ihre ausstehende Arbeiten innerhalb des 21-Tage-Commitments erinnern. Auch für Abfragen zum Stand der Dinge und zu eventuellen Veränderungen, eignet sich das Medium. Wirkungsvoll könnte auch der Versand von Video-Trainings auf den iPod sein. So können sich die Führungskräfte während der Wartezeiten auf dem Flughäfen oder Bahnhöfen auf das nächste Training vorbereiten.

Hat das Web 2.0 bei Führungskräften eine Chance?


Dr. Tobias Kiefer: Das Web 2.0 ist ebenfalls ein einfaches Tool, um die definierten Lernziele und den Lernfortschritt abzufragen. Dennoch fehlt auch hier die emotionale Komponente. Ein Gespräch und damit ein Training verlangt weitaus mehr Bestandteile als Worte.

Ich möchte hier nicht das Bild vom technikfernen Manager unterstützen. Führungskräfte sind heutzutage alle mit einem iPod oder Blackberry ausgestattet, nutzen das Internet und arbeiten in Communities of Practice. Es geht also nicht um das Medium, sondern eher um Kompetenzen, die in der Eindimensionalität des geschriebenen Wortes nicht zu vermitteln sind. Abgesehen davon, bezweifele ich, dass Führungskräfte die Zeit dafür aufbringen können, um Angebote mit zweifelhaftem Nutzen zu suchen.

Wie sollte ein Führungstraining im Idealfall aussehen?


Dr. Tobias Kiefer: Das ideale Führungskräftetraining der Zukunft ist eine Verknüpfung von drei wesentlichen Pfeilern:

Apprenticeship-Model: Gemäß dem Ansatz der mittelalterlichen Zünfte, wird eine "junge Führungskraft" eingearbeitet und lernt von ihrem "Meister". Durch Zusehen, praktizieren unter Anleitung und Beobachtung, wird zusehends die Komplexität der Jobs unter der wachsamen Hand des Meisters gesteigert. Am Ende der Lehrzeit steht das Gesellenstück - ein erneutes Prüfen der Fähigkeiten als Führungskraft anhand praktischer Case Studies. Ein Ausbildungsjournal - idealerweise elektronisch - führt Buch und hält Meister und Lehrling verpflichtet.

Formales Training: Neue Fertigkeiten werden in Theorie und Praxis vermittelt. Optimal, wenn ähnlich der heutigen Blockausbildung in Ausbildungen, die Führungskräfte regelmäßige Interventionen erfahren. Dabei ist das Training emotional hoch geladen, um die so wichtigen Lernanker im Limbischen System des menschlichen Gehirns zu setzen. Emotionale Intelligenz ist dabei ein ganz wesentlicher Lerninhalt - dabei ist jedoch Praxis und Erleben des Gelernten ganz wichtig, da EQ nicht "angelesen" werden kann.

System: Ein umfassendes System erlaubt sowohl die effiziente Trainings delivery als auch die Möglichkeit zu Case Simulations, der Festschreibung und Kontrolle der Lernfortschritte und stellt den Link zu den darunter liegenden Kompetenzmodellen dar. Dieses System schafft somit die Integration in den unternehmensübergreifenden Talent-Management-Prozess und unterstützt alle administrativen und logistischen Prozesse im Trainingsalltag, sowie die Evaluierung von Trainings.

Entscheidend für die Realisierung dieses Traums ist eine Bewusstseinsschaffung bei jedem Individuum, gemäß Abraham Lincolns Zitat: "Wenn Du acht Stunden Zeit für die Fällung eines Baumes hast, so verwende sieben Stunden zur Schärfung der Axt." Diese Aussage hat mehr denn je Gültigkeit in einer Zeit von Komplexität, Vernetzung und Chaos. Der Hebel zur Verwirklichung des Traums vom idealen Führungskräftetraining liegt somit nicht in der Technik, sondern in den Händen der Führungskräfte von heute.