Wege an die Hochschule in Sachen Weiterbildung
Hannover, Oktober 2010 - Infolge des Strukturwandels zur Wissens- und Dienstleistungswirtschaft steigt die Nachfrage nach gut ausgebildetem und hoch qualifiziertem Personal. Zugleich deuten sich aufgrund der demographischen Entwicklung Engpässe bei den Personen im typischen Studierendenalter an. Um den wachsenden Bedarf an Fachkräften langfristig bedienen zu können, stehen die Volkswirtschaften vor der Herausforderung, den Anteil an Hochqualifizierten, die im Laufe ihres Lebens einen akademischen Abschluss erwerben, zu erhöhen.
Möglichkeiten hierzu sind die Öffnung des Hochschulzugangs für Personen ohne Studienberechtigung und insbesondere eine verbesserte Durchlässigkeit zwischen der beruflichen und der hochschulischen Ausbildung. Eine neue Studie aus dem HIS-Institut für Hochschulforschung untersucht auf Basis von EUROSTUDENT-Daten den Hochschulzugang und die Durchlässigkeit der Ausbildungssysteme in sieben europäischen Ländern.
Die Autoren der Studie, Dr. Dominic Orr und Maraja Riechers, werteten für ihre Analyse die EUROSTUDENT III-Daten für Deutschland, die Niederlande, England/Wales, Estland, Frankreich, Schweden und Spanien neu aus und unterfütterten sie mit Kontextinformationen über die Bildungssysteme der sieben Länder. Mittels eines einheitlichen Analyserasters untersuchten sie anschließend die verschiedenen Möglichkeiten des Hochschulzugangs, die Studierwilligen in den jeweiligen Ländern zur Verfügung stehen.
Im Ergebnis zeigt sich, dass alternative Wege an die Hochschule - insbesondere über Erwachsenen- und Weiterbildung sowie die Anerkennung von außerhalb der Hochschulen erworbenen Lern- und Berufserfahrungen - in den betrachteten Ländern eine ganz unterschiedliche Rolle spielen. Mit Anteilen von deutlich mehr als 25 % stehen England/Wales und Schweden klar an der Spitze des Hochschulzugangs über alternative Wege.
Dabei ist in Schweden der Anteil der Studierenden, die ihre Hochschulzulassung über die Anerkennung vorheriger Lern- und Berufserfahrungen erhalten, mit sechs Prozent im Ländervergleich besonders hoch. Einen ähnlichen Wert erreicht nur noch Spanien (5 %), wo die alternativen Wege an die Hochschule insgesamt allerdings mit einem Anteil von 17 % eine geringere Rolle spielen als in England/Wales und Schweden. Estland und die Niederlande liegen mit Anteilswerten von 11 % eher im Mittelfeld. In Deutschland (5 %) und Frankreich (4 %) ist der Anteil der Studierenden, die über alternative Wege an die Hochschule gelangen, besonders niedrig.
In allen Vergleichsländern ist der Zugang über den allgemeinbildenden Abschluss der Sekundarstufe II - in Deutschland das Abitur - damit weiterhin der "Königsweg" an die Hochschule. Die Länder, die daneben besonders viele Studierende über andere Wege an die Hochschule bringen und damit einen besonders offenen Hochschulzugang ermöglichen, weisen bei allen Unterschieden auch Gemeinsamkeiten auf: So setzen Schweden, Spanien und Estland beispielsweise auf allgemeine, national standardisierte Zulassungsprüfungen, die die Eignung der Studieninteressierten unabhängig von ihrem Bildungsweg nach gleichen Verfahren bewerten.
Auch die englischen Hochschulen diskutieren gegenwärtig über derartige Zulassungsprüfungen. England/Wales und Schweden, die vergleichsweise hohe Anteile von Studierenden haben, die über Anerkennungsmaßnahmen an die Hochschule kommen, versuchen darüber hinaus über die Vergabe von Leistungspunkten die unterschiedlichen Bildungsbiografien auf einen Nenner zu bringen. Spanien fördert ältere Studieninteressierte in besonderem Maße.
"Ein Vergleich mit anderen Ländern, die vor den gleichen bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen stehen, ist immer hilfreich. Man kann das eigene System besser einordnen und Impulse für Reformen gewinnen", kommentiert Studienautor Dr. Dominic Orr. "Das für diese Studie entwickelte Analyseraster werden wir auch für den nächsten EUROSTUDENT-Bericht verwenden, der im Sommer 2011 veröffentlicht wird."