Fehlgriffe sind teuer

Software hilft Bewerbungsgespräche zu strukturieren

St. Gallen, August 2011 - (von Prem Lata Gupta) Jede Personalauswahl beinhaltet ein Risiko: Passt der Bewerber auf die ausgeschriebene Stelle und zum Unternehmen oder nicht? Fakt ist: Das Vorstellungsgespräch gilt als unverzichtbares Element im Rekrutierungsprozess. "Doch die meisten Interviews sind von Unternehmensseite schlecht oder gar nicht vorbereitet", moniert Management-Experte und Psychologe Wolfgang Jetter. Die Folge: Teure und folgenreiche Fehlgriffe. Jetter erläutert, wie sich solche Irrtümer vermeiden lassen. Sein Schweizer Beratungsunternehmen hat dafür eine spezielle Software entwickelt und bietet Interviewtrainings an.




Wie kommen Sie darauf, dass in 30 bis 40 Prozent der Fälle Fehlbesetzungen passieren?

Wolfgang Jetter: Durch eigene Erfahrungswerte und Studien, die auch durch Aussagen großer Personalberatungen wie Kienbaum bestätigt werden. Bedenkt man, dass sich eine Fehlentscheidung schnell auf das 1,5- bis Dreifache eines Jahresgehaltes aufsummieren kann, wird die unternehmerische Dimension von Personalauswahl deutlich.

Was läuft denn falsch bei Einstellungsinterviews?

Wolfgang Jetter: Führungskräfte, aber auch Fachleute aus HR, gehen nicht gut vorbereitet in die Gespräche. Sie verlassen sich zu sehr auf ihre "Menschenkenntnis" und ihr Bauchgefühl. Man weiß inzwischen, dass die Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten bereits nach drei bis vier (!) Minuten getroffen wird. Durch so genannte "Überstrahlungseffekte" schließen wir von einem dominanten Merkmal, etwa energisches Auftreten, unzulässigerweise auf andere, beispielsweise Engagement des Bewerbers. Ebenso erwiesen ist, dass Interviewer einen viel höheren Redeanteil haben als Bewerber.

Woran liegt das?

Wolfgang Jetter: Der Hauptgrund ist, dass oft jede Struktur im Interview mit dem Kandidaten fehlt. Der Interviewer kann dann auf kein externes Korrektiv zurückgreifen. Verschärfend kommt hinzu, dass die Bewerber häufig sehr gut vorbereitet sind, eloquent auftreten und eine Souveränität ausstrahlen, von der sich die Gesprächspartner beeinflussen und zum Teil auch "einlullen" lassen. Wer das Gespräch nicht selbst steuert, wird im Zweifel vom Bewerber geführt und zwar nach dessen Agenda.

Das heißt, es wird ein vielleicht ungeeigneter Kandidat ausgewählt...

Wolfgang Jetter: Ja, das kann leicht passieren, es kann aber auch genauso gut sein, dass geeignete Kandidaten abgeschreckt werden. Echte "Hochkaräter" haben etwas zu bieten und wollen natürlich ihr Wissen, ihre Erfahrungen im Interview zeigen und damit "punkten". Deshalb erwarten sie relevante und herausfordernde Fragen und sind frustriert, wenn sie sich einem Wald-und-Wiesen-Interview ausgesetzt sehen. Also: Professionelles Interview-Verhalten strahlt auch auf die Arbeitgebermarke aus.

Sie plädieren für strukturierte Interviews. Was ist der Vorteil?

Wolfgang Jetter: Gemessen am späteren Berufserfolg haben strukturierte Interviews eine drei bis viermal so hohe Validität wie unstrukturierte Interviews. Damit können noch nicht einmal Assessment Center konkurrieren. Es gibt also keine vernünftige diagnostische Alternative zu dieser Auswahlmethode, auch was die Anforderungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und die geforderten Qualitätsgesichtspunkte des Auswahlprozesses (DIN 33430) betrifft.

Wie lernen denn Führungskräfte oder Entscheider aus HR, wie man ein strukturiertes Interview führt?

Wolfgang Jetter: Dazu brauchen Sie drei Dinge: das Wissen, wie es geht, entsprechende Übung und die richtigen Umsetzungswerkzeuge. In meinem Buch "Effiziente Personalauswahl" wird die Methode ausführlich beschrieben. Unser Interviewtraining haben inzwischen schon über 5.000 Führungskräfte besucht. Um den Entscheidern die Umsetzung des Gelernten zu erleichtern, bieten wir mit PROF.I.S nun auch ein zeitgemäßes und leicht handhabbares Tool an: eine Software, mit der sich strukturierte Interviews optimal vorbereiten und auswerten lassen.

Wie funktioniert das?

Wolfgang Jetter: Für jede Stelle kann man damit ein Anforderungsprofil erstellen. Neben der Fachkompetenz geht es auch um andere Schlüsselfaktoren wie Umsetzungskraft oder Teamfähigkeit und weitere Kriterien, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Dazu stellt die Software über 60 Anforderungsdimensionen zur Verfügung, aus der der Anwender acht bis zwölf auswählt und diese anhand von erfolgskritischen Verhaltensweisen (die ebenfalls ausgewählt werden können) definiert.

Im zweiten Schritt werden zu jedem Anforderungskriterium mehrere Fragen herausgesucht und in einem Interviewleitfaden festgehalten. Dazu sind 1.500 verhaltensbasierte Fragen hinterlegt, die allerdings auch ergänzt oder modifiziert werden können.

Und wenn man diesen Fragenkatalog durcharbeitet, bekommt man ein realistisches Bild von dem Kandidaten?

Wolfgang Jetter: Ja, wenn man richtig damit umgeht schon. Dazu bezieht man sich am besten auf Situationen aus der Vergangenheit. Der Kandidat soll beschreiben, wie er ein schwieriges Problem angegangen ist und was das Resultat war. Es geht also um Situation, Verhalten und Ergebnis. Mit der richtigen Frage- und Interviewtechnik führt das zu einem sehr genauen Eignungsprofil.

Wie geht der Interviewer mit diesen Informationen um?

Wolfgang Jetter: Wir haben es oft sogar mit zwei Interviewern zu tun. Die Antworten des Kandidaten werden im Interview protokolliert und erst im Anschluss bewertet. Dabei werden die gesammelten Beispiele mit den Anforderungen abgeglichen und mit Hilfe von PROF.I.S auf einer Skala von 1 bis 5 eingestuft. Ein grafisches Ergebnisprofil macht die Kandidaten vergleichbar und die Auswahl transparent.

Welchen Zeitaufwand sollte man veranschlagen?

Wolfgang Jetter: Die Vorbereitung eines strukturierten Interviews dauert mit dieser Software ungefähr eine halbe Stunde. Auf jeden Fall ist der Aufwand gemessen an den Folgen eines eventuellen Missgriffs gering.

Ist PROF.I.S eine Standalone-Lösung oder integrierbar in bereits vorhandene HR-Anwendungen?

Wolfgang Jetter: Beides ist möglich. Da diese Software etwas kann, das die klassischen HR-Anwendungen nicht abdecken, sollte man sich bei dieser Entscheidung fragen, auf welchem Wege möglichst viele Führungskräfte davon partizipieren können. Denn grundsätzlich sollte jede Führungskraft darauf Zugriff haben.