Technik allein macht noch keinen guten Unterricht
Stuttgart, Dezember 2019 - Im vergangenen Mai trat der DigitalPakt Schule in Kraft. Die Verteilung der Gelder verläuft jedoch stockend. Dabei sind mit der Digitalisierung große Hoffnungen verbunden – auch im Umgang mit Herausforderungen wie Lehrkräftemangel, Heterogenität oder Inklusion. Aber wie kommen die Schulen an die Fördergelder und wofür dürfen sie das Geld überhaupt ausgeben? Die didacta – die Bildungsmesse 2020 in Stuttgart liefert Ideen.
Fest steht: Der Bund wird bis 2024 fünf Milliarden Euro in den Ausbau digitaler Infrastruktur an Schulen investieren. Neben WLAN und Schulservern sind digitale Arbeitsgeräte wie VR-Brillen und Whiteboards förderfähig. Ob Geld für mobile Endgeräte wie Tablets zur Verfügung steht, hängt jedoch vom jeweiligen Bundesland und der einzelnen Schule ab. Für die Wartung, Administration und Fortbildungen wird es hingegen kein Geld geben. Im Schnitt erhält jede der rund 40.000 Schulen in Deutschland für ihr Upgrade 137.000 Euro, also 500 Euro pro Schüler.
Damit das Geld bei den Schulen jedoch ankommt, müssen zuerst die Länder aktiv werden. Denn die Fördermittel beantragen die Schulträger nicht beim Bund, sondern beim jeweiligen Bundesland. Diese haben zunächst 16 Förderrichtlinien erarbeitet und abgestimmt. Anschließend müssen die Umbaumaßnahmen zum Teil europaweit ausgeschrieben werden. Zusätzlich müssen die Schulen ihren Bedarf mit Medien- und Fortbildungskonzepten konkret begründen. Seitens des Bundesministeriums für Bildung und Forschung heißt es ganz klar: "Keine Förderung ohne Qualifizierung und ohne pädagogisches Konzept."
Weg mit Hindernissen
Um das volle Potenzial digitaler Technik im Unterricht auszuschöpfen, braucht es eine entsprechende Qualifizierung der Lehrkräfte. Doch ist das oft im Studium schon ein Problem. Zu diesem Ergebnis kommt der "Monitor Digitale Bildung" vom Centrum für Hochschulentwicklung und der Bertelsmann Stiftung: "Insbesondere Lehramtsstudierende erweisen sich als wenig digital-affin. Sie nutzen digitale Medien im Vergleich zu anderen Fächergruppen am wenigsten und zeigen dahingehend auch die geringste Motivation." Bei den ausgebildeten Lehrkräften sieht es nicht anders aus. Nur 15 Prozent seien versierte Nutzer digitaler Medien.
Im Schulalltag treffen Lehrkräfte dann oft auf fehlende Rahmenbedingungen. Laut Studie fehlen zentrale Konzepte und Regelungen für die Digitalisierung. Lehrkräfte müssten häufig die Organisation selbst übernehmen. Vielen fehlt bereits heute die Zeit, um sich auf neue pädagogische Konzepte zu konzentrieren. Dies wird sich durch den digitalen Ausbau noch verschärfen. Denn die Aufgaben einzelner Lehrkräfte werden erheblich wachsen, schreibt die Kultusministerkonferenz in ihrem Strategiepapier "Bildung in der digitalen Welt".
Individualisierung des Lernens
Prof. Dr. Andreas Schleicher, Direktor für Bildung und Kompetenzen der OECD, ist überzeugt, dass Technik allein noch keinen guten Unterricht ausmacht. Für ihn liegt der Vorteil in der Individualisierung des Lernens. Der Unterricht könne durch entsprechende Technik nicht nur besser an die einzelne Leistungsfähigkeit und den nötigen Förderbedarf angepasst werden, sondern auch Interessen und Begabungen berücksichtigen. Lernerfolge könnten digital erfasst und das Niveau entsprechend angepasst werden. Aber gerade die fehlenden Rahmenbedingungen erschweren es, Schüler individuell zu fördern.
Derzeit greifen viele Lehrkräfte zudem auf Technik zurück, die sie nicht anwenden dürften. Das betrifft beliebte Apps wie WhatsApp ebenso wie private Rechner, die eigentlich nur nach einer technischen Prüfung und Freigabe verwendet werden dürften, um Schülerdaten zu verarbeiten, sagt Dr. Lutz Hasse, Vorsitzender des Arbeitskreises "Datenschutz und Bildung" der deutschen Datenschutz-Aufsichtsbehörden. Er empfiehlt daher: "Bevor Sie irgendwas machen, fragen Sie die Datenschutzbeauftragten, und zwar bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist."
Erst Bildung 4.0, dann Arbeitswelt 4.0
Digitalisierung ist nicht nur an Gymnasien oder Gesamtschulen ein Thema. Gerade in der Ausbildung sollten Jugendliche Fähigkeiten für die Arbeitswelt von morgen erwerben. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek betont daher: "Besonders wichtig ist mir, dass auch die beruflichen Schulen vom DigitalPakt Schule profitieren, denn so stärken wir die Attraktivität der dualen Ausbildung."
Für die Vorbereitung auf die digitalisierte Arbeitswelt sind neben den Berufsschulen laut Handelskammer Hamburg auch die Unternehmen immer wichtiger. Ein Vorbild liefert die in der Hansestadt ansässige Firma Airbus. Sie konzentriert sich bereits jetzt auf den digitalen Wandel: "Sicher ist, dass Airbus in Zukunft Mitarbeiter suchen wird, die spezielle IT-Kompetenzen mitbringen," sagt Jan Balcke, Airbus-Ausbildungsleiter in Hamburg. Für Balcke steht fest, dass niemand die Anpassung an neue technologische Bedingungen vermeiden könne. Daher hat die Firma im vergangenen Jahr die "Learning & Exploration Factory" ins Leben gerufen. Hier können sich Azubis und Studenten mit neuen Technologien und Arbeitsweisen wie Robotik, Augmented- und Virtual-Reality vertraut machen.
Mut zum Wissen, aber vernetzt
Es geht jedoch nicht nur darum Jugendliche fit im Umgang mit der neuen Technik zu machen. Laut Handelskammer wird vor allem eine neue Art des vernetzten Denkens notwendig. Zukünftige Fachkräfte müssten entsprechende Kompetenzen in der Schule und in der Ausbildung erwerben. Daher kann digitale Bildung nicht bedeuten, Schulen einfach mit Technik auszustatten.
Stattdessen muss eine neue Art des Lehrens und Lernens entwickelt werden. Ein Lernen, dass nicht am Schultor aufhört, sondern sich durch das gesamte Leben zieht. Mit der Bereitstellung der fünf Milliarden Euro durch den DigitalPakt ist ein erster Schritt ins "Neuland" getan. Der Weg durch dieses "nicht durchschrittene Terrain", wie Bundeskanzlerin Angela Merkel es in zwischen nennt, ist jedoch beschwerlich – und es steht noch nicht fest, wo er enden wird.
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