Interkulturelle Flexibilität
Hampshire, Juni 2005 - Als Group Managing Director des britischen Unternehmens Richard Lewis Communications verfolgt Michael Gates die Entwicklung interkultureller Trainings und den steigenden Bedarf seit Jahren. Er prognostiziert eine wachsende Notwendigkeit interkultureller Flexibilität nicht nur in der Wirtschaft sondern auch im gesellschaftlichen Umgang der Nationen miteinander.
In internationalen Konzernen und global aufgestellten Unternehmen gehören interkulturelle Trainingsprogramme seit Jahren zum Alltag. In manchen Ländern wurden sie stärker forciert, wie etwa in Skandinavien, das als Vorreiter bezüglich des Volumens gelten kann. Doch in den letzten drei oder vier Jahren gab es eindeutige Signale von neuen Märkten: us-amerikanische Unternehmen und Business-Schools etwa fragten verstärkt interkulturelle Trainings nach. Südeuropa dagegen bleibt eher bescheiden in diesem Anspruch.
Wieso spüren Unternehmen in jüngster Zeit einen erhöhten Bedarf an interkulturellen Trainings? Sie haben deutlich erkannt, dass interkulturelle Kommunikation ein Geschäftsprozess ist, der gesteuert werden muss und nicht dem Zufall überlassen bleiben darf. Denn die Risiken sind immens. Jeder kennt Fälle, in denen beispielsweise eine Fusion an "kulturellen Gründen" scheiterte oder von hervorragenden Mitarbeitern, die im Ausland nicht zurecht kamen und - oft unverrichteter Dinge - zurückkehren mussten.
Die Gewichtung entsprechender Trainings hat sich in den letzten 15 Jahren drastisch verschoben, vor allem in entwickelten Märkten. Dementsprechend fragen Unternehmen heute nach hochwertigen, wissensbasierten Programmen und Unterweisungen. Denn ihr Ziel ist das Verständnis potenzieller Kunden in ungewohnten Märkten. Nachdem die Unternehmen heute selbst multikulturell aufgestellt sind, richtet sich der Fokus häufiger nach innen. "Wir arbeiten in einem neuen virtuellen Team, das über mehrere Länder und über unterschiedliche Zeitzonen verteilt ist. Wie lässt sich hier die Zusammenarbeit verbessern?"
Auch richtet sich der Fokus zunehmend auf zwischenmenschliche Probleme. Es ist wunderbar, beispielsweise eine Vielzahl von Fakten über China im Kopf zu haben. Aber wie sage ich unserem chinesischen Verkaufsdirektor, dass er oder sie die Dinge nicht im Sinne der Zentrale regelt?
Zunehmend ist der Fokus auch individuell. Ich mag zwar ein Deutscher sein, aber möglicherweise kein "typischer". Als extrovertierter Marketing-Spezialist habe ich mir möglicherweise Kommunikations- und Auftrittsformen angewöhnt, die nicht in kulturelle Schemata passen. Auf welcher Basis kann ich mich mit unserer neuen, geradlinigen estnischen Buchhalterin einigen?
Allerdings sind die Ziele heute sehr viel positiver. Es geht nicht mehr um "Dos and dont's", um vor allem Fehler zu vermeiden. Eher geht es darum, wie sich aus interkulturellen Unterschieden Wettbewerbsvorteile ebenso wie Einfühlungsvermögen in Verhandlungssituationen oder im Umgang mit Kunden erzielen lassen.
Natürlich bleiben einige Fragezeichen. Das dauerhafteste ist jenes in Bezug auf Umfang und Maß entsprechender Maßnahmen. "Wie können wir nachweisen, dass sich das Training maßgeblich auf das Endergebnis auswirkt?" ist eine der meistgestellten Fragen. Doch häufig handelt es sich dabei vor allem um Ängste der Personalverantwortlichen. Wenn sich das Management selbst zu interkulturellen Trainings verpflichtet, gibt es meist weniger Vorbehalte als erwartet. Denn wie schon Einstein sagte: "Nicht alles, was zählt, lässt sich in Zahlen ausdrücken und nicht alles, was sich in Zahlen ausdrücken lässt, zählt."
Doch immer schon haben Großunternehmen die Notwendigkeit interkultureller Trainings mit wechselndem Begeisterungsgrad akzeptiert. Nun aber sorgt die kontinuierliche grenzüberschreitende Konsolidierung von Industrie, Finanzdienstleistungen und anderen für ständig steigende Nachfrage.
Allerdings besteht das Leben ja nicht nur aus Geschäft. Selbst wenn man nur Europa betrachtet und seine politischen und sozialen Veränderungsprozesse, wird deutlich, wie viele Menschen von der Auseinandersetzung mit Andersdenkenden künftig betroffen sein werden. Menschen, die glauben, ihre Art des Denkens sei "normal" und die des anderen nicht. Menschen, die ihre Werte und Überzeugungen durch die Art ihrer Kommunikation ausdrücken, ohne sich dessen selbst gewahr zu werden.
Die erste Nachfragewelle nach interkulturellen Trainings außerhalb der Wirtschaftswelt lösten zivile Bedienstete aus, die an Meetings der Europäischen Union teilnahmen, speziell jene, die dort leitende Aufgaben wahrnehmen sollten. Denn es ist durchaus hilfreich, einschätzen zu können, dass etwa ein Engländer, der "hmm, interessante Idee..." murmelt, noch lange nicht sein Einverständnis erklärt. Eher das Gegenteil. Oder dass eine französische "pragmatische Lösung" nicht notwendigerweise dem Pragmatismus eines Angelsachsen oder eines Skandinaviers gleichzusetzen ist.
Doch mit welchen Ressourcen kann sowohl Unternehmen als auch Regierungen oder öffentlichen Einrichtungen geholfen werden? Einige theoretische Modelle helfen Kulturen zu analysieren. Ihr Wert liegt in der möglichen Klarheit über den Einsatz von Sprache, die dazu führen kann, dass alle Beteiligten wenigstens mehr oder weniger über dasselbe sprechen.
Das Lewis-Modell beispielsweise kann solche Brücken in der interkulturellen Kommunikation schlagen. Es ist praktisch anzuwenden, leicht zu verstehen und gut zu merken. Der Kern des Modells ist die Klassifizierung in drei kultur-typische Kategorien, in linear-aktive, multi-aktive und reaktive Kommunikation. Diese drei Typen korrespondieren ungefähr mit geographischen Regionen, in denen sie den dominanten Kommunikationsstil darstellen: Linear-aktive Kommunikation ist etwa in Nordeuropa anzutreffen, im Norden der USA und in Australien und anderen Regionen. Die Multi-aktive Kommunikation herrscht in Südeuropa, Lateinamerika, Afrika und Russland vor. Auf Reaktive Kommunikation stößt man vor allem in China, Japan, Korea und anderen Teilen Asiens.
Das Modell beschreibt Kommunikationsstil und -ziele, in welcher Form Informationen gegeben und empfangen, wie Meinungen ausgedrückt und Beziehungen aufgenommen werden und wie sich Harmonie herstellen lässt. Es sagt etwas darüber aus, wie Zeit genutzt und Darstellungsraum strukturiert wird. Dieses Wissen kann auf jeden zwischenmenschlichen Geschäftsaspekt, auf jede Verhandlungssituation, jedes Meeting oder in jedem Entscheidungsfall angewendet werden.
Ziel eines interkulturellen Kommunikationstrainings sollte es sein, das eigene kulturelle Profil bewusst wahrzunehmen, es zu reflektieren und es entsprechend gesetzten Zielen oder situativen Gelegenheiten modellieren zu können.