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EduBooks am Gymnasium

Bonn, November 2005 - Unterstützt durch die "Bildungsoffensive 2006" stattet der Direktor des Thomas-Strittmatter-Gymnasiums in St. Georgen (Schwarzwald) eine Schulklasse mit der mobilen Lernstation "EduBook" aus. Auch die "Blue Box", eine mobile Notebookstation, über die sich die Notebooks drahtlos mit dem Schulnetz verbinden lassen, wird den Schulalltag der Klasse 6b bereichern.




Ralf Heinrich, heute Schulleiter und ehemals Pädagogischer Referent im Landesmedienzentrum Baden-Württemberg erwartet nachhaltige Effekte im Blick auf Medienkompetenz und die fachlichen Schülereistungen. Der erfahrene Medienpädagoge sprach mit Focus Online über seine Erfahrungen. Vehement kritisiert er die Forderung nach einer Rückkehr zu Tafel und Kreide.


Der Artikel "Computer können das Lernen behindern" im ifo-Schnelldienst von Thomas Fuchs und Ludger Wößmann hat kürzlich für Wirbel und Diskussionen gesorgt und wurde von vielen Medien aufgegriffen. Darin wird auch der Satiriker Max Goldt zitiert, der sagt: "Für viele Jobs ist ein Führerschein genauso Grundvoraussetzung wie EDV-Kenntnisse. Würde man aber deshalb das Steuern eines PKW als eine essentielle Kulturtechnik bezeichnen und die Schulen damit beauftragen, diese Technik zu vermitteln? Würde man nicht. Autofahren, Krawatten binden und Internet sollen die Menschen in ihrer Freizeit lernen". Was sagen Sie zu diesem provokativen Vergleich?

Ralf Heinrich: Natürlich muss der verantwortliche Umgang mit dem Auto heute ebenso eingeübt und thematisiert werden, wie auch ein Computer- und Internetführerschein Sinn macht. Die Schule sollte sich dafür nicht zu schade sein, zumal es hier nicht nur um die Techniken, vielmehr um verantwortliches Handeln geht. Schule kann ihre Bildungsinhalte durchaus auch lebensnah und mit Bezug zur Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen vermitteln, das wird vielerorts längst praktiziert. Nicht nur in der Grundschule, ja sogar in der Oberstufe des Gymnasiums, ist Verkehrserziehung (über-)lebensnotwendig. Wer Unfallstatistiken lesen kann, wird dies kaum bezweifeln.

Gleiches gilt morgen für die Datenautobahnen. Der Hinweis, doch besser zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren, greift da einfach zu kurz. Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern müssen auch wir lernen, uns in der Flut von Informationen zu orientieren, die richtigen Datenautobahnen zu nutzen. Wenn mich das Fahren auf den falschen Wegen nicht weiterbringt, kann ich das nicht der Technik anlasten. Unsere Schülerinnen und Schüler gehen aber oft gerade diese falschen Wege, nicht nur im Netz. Sie werden multimedial dorthin verführt. Dies kann aber kein Argument dagegen sein, sie auf die besseren Wege zu begleiten. Aus der "Informationsgesellschaft" kann nur dann eine "Wissensgesellschaft" werden, wenn Bildung und Schule dies unterstützen.

Aber ist denn Computerwissen tatsächlich eine Kulturtechnik wie Lesen, Schreiben und Rechnen, die man in der Schule erlernen muss?

Ralf Heinrich: Ein verantwortlicher Umgang mit neuer Medientechnik ist in unserer Informationsgesellschaft nicht mehr zu trennen vom schulischen Lernen, vom Schreiben, Rechnen und Lesen. Ebenso wenig wie vom Wissen, von dessen Beschaffung, Verarbeitung und Vernetzung. Integrative Medienpädagogik ist heute ein Muss und zwar in Form einer aktiven pädagogischen Medienarbeit. Die Rückkehr zu den alten Prioritäten oder die Forderung nach "Tafel und Kreide" ist da ein unverantwortlicher Rückschritt.

Lesen, Schreiben und Rechnen sind aber trotzdem unverzichtbar. Sollte man sich angesichts der Defizite in Deutschland, wie sie die PISA-Studien gezeigt haben, nicht vorrangig darauf konzentrieren und hier Verbesserungen erreichen?

Ralf Heinrich: Natürlich braucht auch das Informationszeitalter die "klassischen Kompetenzen". Allein, dass der Umgang mit neuen Informationstechnologien immer erst "danach" gelernt werden soll, das halte ich für zweifelhaft. Das lässt sich durchaus intelligent verbinden. Wenn ich mir die Schülerinnen und Schüler, ihre Familien, ihre Freizeit, die berufliche Zukunft und das gesellschaftliche Umfeld anschaue, dann stellen sich zwei Fragen: 1. Kann es wirklich sein, dass sich Schule heute wieder auf das intensive Einüben nur bekannter Kulturtechniken zurückbesinnt 2. Ist der Computer für unsere Kinder in ihrer heutigen wie künftigen Welt wirklich "nur eines unter vielen Werkzeugen". Genügt es, sie auf dessen effiziente Nutzung vorzubereiten oder brauchen wir hier nicht weitergehende Erziehungsziele und Bildungsanstrengungen.


Beides sind keine Fragen des "Entweder-Oder". Es wird auch in Zukunft genug Kolleginnen und Kollegen geben, die sich weiterhin vorrangig und mit bewährten Methoden um das ebenso wichtige Lesen, Schreiben oder das Sprechen kümmern. Das ist - nebenbei bemerkt - auch deshalb nötig, weil die SchülerInnen zum Teil hoch komplexe Internetseiten verarbeiten sollten. Insbesondere Hauptschullehrer klagen hier nicht über die Oberflächlichkeit des Netzes, sondern zunehmend darüber, dass ihre SchülerInnen "abgehängt" werden. Ihnen fehlt oft die Sprachkompetenz und die Fähigkeit zur Textverarbeitung. Dadurch können sie mit dem Internet, das seit den 70er Jahren auch ein Wissenschaftsnetz ist, nicht wirklich umgehen. Hier gibt es noch viel zu tun. Auch das ist Ergebnis der PISA-Studien.

In dem Artikel des ifo-Schnelldienstes wird ja unter Berufung auf eine Auswertung der PISA 2000-Studie behauptet, dass der Computereinsatz in der Schule und zu Hause dem Lernerfolg eher abträglich ist. Lässt sich solch eine These nach Ihren Erfahrungen belegen?

Ralf Heinrich: Viele nachdenkliche Medienkritiker sehen Bildung und Kultur in Gefahr, sobald sie irgendwo in unseren "Lehranstalten" eine Computermaus entdecken und sie nehmen die PISA-Ergebnisse als Beleg für ihre Ablehnung. Das ist verständlich, gerade angesichts der ungesteuerten Mediennutzung in Kinder- und Jugendzimmern, deren Folgen wir in den Schulen spüren. Auch rückwärts gewandte Bildungstheoretiker haben PISA längst für sich entdeckt. Sie rufen wieder nach dem angeblich "bewährten Pauken". Aber: Haben wir früher wirklich bessere Bildungsergebnisse erzielt? Was die meistem Kritiker auch verschweigen, ist, dass es bei diesen Studien gar nicht um die reine Sprach- oder Lesetechnik ging, sondern vielmehr um den Mangel am Verstehen, am Einordnen in Zusammenhänge.

Zudem wird der fächerübergreifende Teil 4 der Studie 2000, welcher nach problemorientiertem Lernen fragt, auch immer wieder ausgeblendet. Da ausgerechnet jene Länder bei der PISA-Studie vorn liegen, in denen die höchste Dichte an PC-Ausstattung und Internet-Nutzung besteht, verbietet sich aber der in Ihrer Frage beschriebene bildungspolitische Kurzschluss. Nein, die Medien sind nicht allein schuld am Fehlen der Sprachkompetenz. Der Mangel an Medienkompetenz ist in einer modernen Gesellschaft vielmehr Teil dieses Sprachdefizits.

Ihnen geht es nicht in erster Linie um Computerwissen, sondern um Medienkompetenz. Warum ist die in Ihren Augen so wichtig?

Ralf Heinrich: Die Wirkung der neuen digitalen Werkzeuge, etwa unterschiedlicher Software, auf unsere Sprache, auf unser Denken und Handeln, auf unsere Lebenskultur, kann gar nicht überschätzt werden. Erwachsene wie Kinder und Jugendliche sollten vor- und nachdenken, etwa über die Veränderungen der zwischenmenschlichen Kommunikation, wie sie in unserer Informationsgesellschaft um sich greifen. Da liegen Risiken, aber auch Chancen.


Noch mal: Um den Wissensschatz des Internets zu heben, braucht es sowohl Medienerfahrung wie ein Gerüst an Vorwissen, braucht es gefestigte Sprach- und Denkschemata, und klare Fragestellungen. Wo dies nicht gegeben ist verlieren sich gerade junge Menschen in Oberflächlichkeit oder versinken in der Flut interessengeleiteter Informationen. Natürlich können wir diese digitalen Medien weiterhin bequem der Eigenverantwortung unserer Kinder überlassen oder umgekehrt unsere Kinder denen überlassen, die sich geschickt vordrängeln in der "schönen neuen Computerwelt". Wir könnten aber auch etwas dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche den effizienten und verantwortlichen Umgang mit einem Bildungs- und Wissenschaftsmedium der Zukunft erlernen.


Voraussetzung ist ein gemeinsames pädagogisches Profil, ein Programm der "Offenen Schule" das der komplexen Medien- und Lebenswirklichkeit gerecht wird. Medientechnik (schulische wie private) wird in solch einen gesamt- und medien-pädagogischen Ansatz eingebettet. Wir lernen gemeinsam, indem wir die neue Medienkultur aktiv mitgestalten ("medi@culture"). Diese Bildungschance wollen wir nutzen, nicht nur, aber exemplarisch mit den SchülerInnen, Lehrkräften und Eltern unserer EduBook-Klasse. Das ist meiner Meinung nach der richtigere Weg.