Erfolgskriterien in der Qualifizierung
Wiesbaden, Oktober 2008 - (von Marcus Weniger) Es ist ein gut gehütetes Geheimnis: eLearning-Lösungen werden konzipiert, entwickelt und beworben, aber die Mitarbeiter nehmen nicht teil. "If you build it, will they come?", fragte deshalb ein eLearning-Experte bereits vor einigen Jahren, als das Phänomen noch regelmäßig mit der neuen, ungewohnten Technologie erklärt wurde. Das greift heute nicht mehr. Und während sich bei Seminaren mit Anmelde- und Stornierungsfristen das Risiko begrenzen lässt, tut es bei eLearning häufig richtig weh. Denn hier sind die Investitionen nicht rückholbar. Was aber hätte man anders machen können?
Eigentlich hat man alles richtig gemacht. Als der Auftrag kommuniziert wurde, für den Vertrieb ein neues Schulungsprogramm zu entwickeln, hat das Projektteam sofort mit der Planung und Konzeption begonnen. Wenig später schon konnte dem Vorstand ein umfangreiches Konzept vorgelegt worden. Vertriebsexperten wurden in die Entwicklung der Maßnahmen einbezogen, um die richtigen Themen und Inhalte zu schulen. Führungskräfte wurden rechtzeitig über das Vorhaben und ihre Verantwortung informiert.
Das gesamte Spektrum an Formaten und Methoden - vom Präsenztraining bis zum eLearning - wurde genutzt, um effiziente und flexible Angebote zu entwickeln. Schließlich wurden die Maßnahmen "live" geschaltet, schrittweise und begleitet mit verschiedenen Aktionen, um die Aufmerksamkeit auf das neue Angebot zu lenken.
Nach einigen Wochen musste das Projektteam aber feststellen, dass die Angebote nicht so gebucht wurden, wie man es erwartet hatte. Erste Fragen stellten sich: Wurde nicht ausreichend kommuniziert? Sorgt das Tagesgeschäft wieder einmal dafür, dass Weiterbildung auf der Strecke bleibt? Wie machen sich dann die Kollegen eigentlich schlau? Vorsichtig beginnt man Rückmeldungen von einzelnen Führungskräften einzuholen.
Was das Projektteam hört, ist wenig erfreulich, teilweise überraschend: Die Programme, vor allem die entwickelten eLearning-Lösungen, wären viel zu umfangreich! Die Seminare zu standardisiert! Die Mitarbeiter hätten zudem gar keine Zeit zum Lernen, wenn die geforderten Umsatzziele erreicht werden sollen! Typisch Schulung: Weit weg von der Praxis!
Das Projektteam ist ratlos. Alles war abgestimmt, alle waren informiert, und dann ein solches Feedback! Schnell fühlte man sich auf der Anklagebank sitzend und an das alte Dilemma ("die Weiterbildung ist immer schuld!") erinnert:
- "Die Weiterbildung ist zu schlecht, daher konnten wir nichts verkaufen!"
- "Wir waren auf Seminar, daher hatten wir keine Zeit, um zu verkaufen!"
- "Wir hatten noch keine Schulung und konnten daher nichts verkaufen!"
Getreu dem Motto: Wenn der Bauer nicht schwimmen kann, ist immer die Badehose schuld!
Zwei Interessen, zwei Perspektiven
Wenn Bildungsangebote und Mitarbeiter nicht zueinander finden, werden häufig verschiedene Versäumnisse sichtbar. Ein wiederkehrendes Versäumnis: In der Planungsphase werden wichtige Absprachen offen gelassen und grundlegende Prozesse nicht verbindlich definiert. Das betrifft vor allem das Zusammenspiel zwischen Personalentwicklung auf der einen Seite und den Geschäftsbereichen auf der anderen Seite. Denn während Erstere die Konzeption und Umsetzung der Bildungsangebote verantworten, sitzen in den Geschäftsbereichen die Mitarbeiter, um deren Qualifikationen und Kompetenzen es geht.
Es liegt fast in der Natur der Sache, dass hier unterschiedliche Perspektiven und Interessen zum Tragen kommen. Das Problem: Während Weiterbildung und Kompetenzentwicklung im Mittelpunkt der Personalentwicklung stehen, sind sie für die Auftrag gebenden Geschäftsbereiche nur Mittel zum Zweck. Im Vordergrund stehen Vertrieb, Umsatz, konkret: produktive, verrechenbare Zeit der Mitarbeiter.
Weiterbildung kämpft hier mit anderen Personalinstrumenten um knappste Ressourcen. So ist aus Sicht des Vertriebs die ideale Qualifizierung möglichst kurz, effizient und flexibel, fügt sich unsichtbar in den Arbeitsalltag ein und befähigt Mitarbeiter über Nacht, wahlweise die neue Verkaufsstrategie umzusetzen, die neue Software richtig einzusetzen oder die neuen Produkte zu verkaufen. Lernerfolgskontrollen werden nicht benötigt. Die Praxis ist das Kriterium. Teilnehmerzahlen werden nur herangezogen, wenn es Zweifel an der Notwendigkeit der Qualifizierung als Ganzes oder einzelner Maßnahmen gibt.
Wollen Personalentwicklung und Geschäftsbereiche eine erfolgreiche Qualifizierung - und damit auch eine Rechtfertigung ihrer Investitionen in die Mitarbeiterentwicklung -, braucht es die eingangs erwähnten Absprachen. Diese gehen über die immer wieder geforderte Integration der Weiterbildung in die Strategie des Unternehmens hinaus. Sie betreffen häufig auch weniger das kurzfristige Training neuer IT-Systeme, Produkte oder Prozesse. Sie gelten vor allem für die mittel- und langfristige Kompetenzentwicklung und schließen Fragen wie die Folgenden ein:
- Wie werden die Zielgruppen, ihr Bedarf und ihre Teilnahme zwischen Geschäftsbereichen und Personalentwicklung geplant und abgestimmt?
- Wer steuert die Teilnahme der Mitarbeiter an der Qualifizierung?
- Wie verbindlich ist die Teilnahme an Qualifizierungsprozessen?
- Gibt es einen abgestimmten Einsatz von Qualifizierungsformaten und Medien?
- Gibt es gemeinsam verabschiedete Ziele und Erfolgskriterien?
- Welche Verantwortung tragen Führungskräfte für die Teilnahme der Mitarbeiter, aber auch für die Umsetzung des Gelernten in der Praxis?
- Welche Verantwortung, aber auch welche Freiräume besitzen die Mitarbeiter für die eigene Kompetenzentwicklung?
- Wie werden die individuellen Motive, Wünsche und Interessen der betroffenen Mitarbeiter eingebunden?
Der wichtigste Punkt ist die Verbindlichkeit der Absprachen und Abstimmungen. Nur sie erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Qualifizierungsmaßnahmen genutzt werden und dass nicht wieder das kurzfristige Tagesgeschäft über die langfristige Kompetenzentwicklung triumphiert.
One size does not fit all
Es war die Rede von mehreren Versäumnissen, die häufig verhindern, dass Mitarbeiter und Bildungsangebote zusammenkommen. Ein weiteres Versäumnis betrifft die Tatsache, dass zwar in der Konzeption viel von Zielgruppen und ihren spezifischen Anforderungen die Rede ist. In der Weiterbildungspraxis dominieren dann aber doch die bekannten Bildungsformate, Methoden und Medien, seit einigen Jahren erweitert um eLearning. Oder man zieht sich auf Blended Learning zurück und kombiniert Bekanntes und Neues, ohne aber die Dinge grundlegend zu verändern.
In diesem Zusammenhang wird häufig unterschätzt, wie weit die Kompetenzen, Erfahrungen und Verhaltensroutinen von Mitarbeitern einer Zielgruppe auseinander liegen können. Da kann es passieren, dass zur Zielgruppe der Relationship Manager der 24-jährige Berufseinsteiger genauso gehört wie seine 38-jährige Kollegin, die bereits unzählige Projekte gestemmt und Abteilungen im Unternehmen kennen gelernt hat.
Und während Ersterer als "unbeschriebenes Blatt" möglicherweise nur darauf wartet, sich an neuen Verhaltensmodellen orientieren zu können, soll sich Letztere von vertrauten und bewährten Routinen trennen, um ab morgen den neuen Beratungsansatz glaubwürdig zu verkörpern. Das identische Qualifizierungsangebot kann aber wahrscheinlich nur für einen von beiden zum gewünschten Praxiserfolg führen.
Dabei wird deutlich, dass sich Zielgruppen häufig nicht nur durch vorgegebene Rollenprofile unterscheiden, die vom Unternehmen gefordert werden. Mit Blick auf neue Technologien und den demografischen Wandel sind in jüngster Zeit auch jüngere und ältere Mitarbeiter mit "ihren" besonderen Bedürfnissen und Erfahrungen in die Aufmerksamkeit des Personalmanagements gerückt.
Aber auch Generationenkonzepte wie die "net generation" oder "50plus" helfen nur bedingt weiter, weil sie nichts über die tatsächlichen Mitarbeiter eines Unternehmens, einer Abteilung oder eines Teams sagen. Hier hilft in der Regel nur, sich "vor Ort" ein konkretes Bild von den Lern- und Informationsbedürfnissen, den Nutzungsgewohnheiten sowie den Medienkompetenzen der Mitarbeiter zu machen. Was zwar selbstverständlich klingt, bis heute aber nur in wenigen Fällen geschieht. Interviews, Beobachtungen, Umfragen etc. helfen hier weiter.
Informelles Lernen
Der amerikanische eLearning-Experte Jay Cross sprach vor einiger Zeit vom "Spending/ Outcomes-Paradox". Was er meinte: Wir wissen zwar, dass ca. 80 Prozent unserer Lernprozesse informeller Natur sind, wir also vor allem "on the job", im Gespräch mit Kollegen und Vorgesetzten lernen. Nur 20 Prozent des Lernens findet als formelles Lernen statt, in Seminaren und Workshops, über Studienbriefe oder Web-based Trainings.
Erstaunlicherweise ignorieren die Investitionen in Weiterbildung diese Beobachtung: 80 Prozent fließen in formelles Training, aber nur 20 Prozent werden genutzt, um informelles Lernen zu unterstützen.
Dabei gibt es verschiedene Wege und Möglichkeiten, genau hier den Hebel anzusetzen. Ansatzpunkte betreffen vor allem die Rahmenbedingungen des Lernens und die Möglichkeiten, selbst organisiert und aus dem Arbeitsprozess heraus, Wissen zu erwerben.
- Eine Möglichkeit betrifft die Förderung von Netzwerken und Communities of Practice. Wer beschäftigt sich mit ähnlichen Themen im Unternehmen? Wie schnell können Mitarbeiter auf diese zugreifen? Welche Möglichkeiten des Informationsaustauschs, ob online oder face-to-face, haben sie?
- Eine andere Möglichkeit besteht im Potenzial der Web 2.0-Technologien. Wie vertraut sind die Mitarbeiter mit den vielfältigen Möglichkeiten, online zu kooperieren, gemeinsame Inhalte zu entwickeln und Informationen auszutauschen? Wie verbreitet sind z.B. Wikis, Weblogs oder Social Networking-Angebote im Unternehmen?
- Eine weitere Möglichkeit besteht darin, aktiv Prozesse des Wissensmanagements und des Wissensaustauschs zu unterstützen. Wie fließen zum Beispiel Informationen von Seniors zu Juniors? Wie können Mitarbeiter Erfahrungen, "Best Practices", präsentieren und weitergeben?
Erfolgskriterien für alle Phasen
Mit der Frage der Abstimmung zwischen Personalentwicklung und Geschäftsbereichen und der Notwendigkeit zielgruppengerechter Bildungsangebote haben wir an dieser Stelle nur zwei wichtige Punkte herausgegriffen, die für eine erfolgreiche Qualifizierung von großer Bedeutung sind. Mit Blick auf den Zyklus der Qualifizierung können selbstverständlich in jeder Phase erfolgsrelevante Kriterien identifiziert werden.
Der folgende Überblick hat sich in der Beratungspraxis bewährt und wird regelmäßig zur Analyse wie Planung herangezogen:
Dabei ist zu beachten, dass in einer bestimmten Phase vorangegangene Versäumnisse nur bedingt korrigiert werden können. Wird Mitarbeitern beispielsweise die Zeit zu lernen nicht zugestanden oder werden Bildungsangebote als praxisfern wahrgenommen, wird auch ein intensiveres Marketing zu kurz greifen, evtl. sogar von grundlegenden Fragen ablenken.
Eine erfolgreiche Qualifizierung, das kann an dieser Stelle festgehalten werden, ergibt sich aus dem konsequenten Bemühen, den Mitarbeiter in den Mittelpunkt aller Anstrengungen zu stellen und seine individuellen Motive und Interessen mit den Zielen des Unternehmens in Einklang zu bringen. Dann, erst dann, macht es Sinn, von der lernenden Organisation zu sprechen.
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