"Die Führung von Menschen ist eher eine Kunst"
Bad Soden am Taunus, April 2009 - Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten wächst der Bedarf an talentierten Führungskräften. Ausgerichtet an der Arbeitsrealität von Managern orientieren sich die Trainingskonzepte jedoch in erster Linie an der unmittelbaren Erfahrung im Job. Im Gespräch mit CHECK.point eLearning erläutert der Leiter des Instituts für Management-Innovation, Prof. Dr. Waldemar Pelz, warum eLearning im Leadership Development seines Erachtens eine eher untergeordnete Rolle spielt.
Herr Prof. Pelz, welche Rolle spielt eLearning im Leadership Development des Instituts für Management-Innovation?
Prof. Dr. Waldemar Pelz: Beim Thema Führungskräfteentwicklung gibt es viele Einsatzmöglichkeiten für eLearning, sofern es um die Vermittlung von Wissen geht. Dazu gehören Inhalte wie die Geschichte der Führung oder die Darstellung verschiedener Führungs-, Kommunikations- und Motivationsmodelle. Leider gibt es hierzu kaum überzeugende Angebote. Für ein qualitativ hochwertiges eLearning im Bereich Führung müsste man erhebliche Summen investieren, und es ist fraglich, ob die Zielgruppe dafür groß genug ist, - ob es sich also lohnt.
Sofern es um die Kernprozesse der Führung geht, wird es mit dem eLearning allerdings problematisch. Einer dieser Kernprozesse ist zum Beispiel das Coaching. Es erfordert ein sehr hohes Maß an Einfühlungsvermögen, Fantasie und Vertrauen. Der Trainer muss in der Lage sein, situatives Feedback zu geben und zum Nachdenken anzuregen.
Führung von Menschen ist im Kern weder eine Wissenschaft noch ein Handwerk. Es ist eher eine Kunst, die man lange praktizieren muss. Diese Kunst ist sehr eng mit subjektiven Dingen wie Kreativität, Initiative, sozialer Wahrnehmung, Emotionalität und Verhalten verbunden.
Welche Methoden würden Sie für die Ausbildung kognitiver und welche für Entwicklung emotionaler Kompetenzen bevorzugen?
Prof. Dr. Waldemar Pelz: Aus der Lernforschung wissen wir, dass etwa zehn Prozent des Lernerfolges durch Vermittlung von Fachwissen zustande kommt. Dabei kann eLearning sicherlich sehr hilfreich sein. Der wichtigste Vorteil besteht wohl darin, dass man eine relativ große Zielgruppe sehr kostengünstig bedienen kann. Allerdings ist zu bedenken, dass der Kostenvorteil bei der Entwicklung von Führungskräften kein großes Gewicht hat.
Rund 20 Prozent des Lernerfolges gehen auf das Konto des direkten Lernens durch Menschen. Dazu gehören Themen wie Orientierung, Motivation, Identifikation oder die individuelle Entwicklung beruflicher und persönlicher Perspektiven. Hier wird es mit den Möglichkeiten des eLearnings noch enger. Man könnte zum Beispiel die Vorbildfunktion oder die charismatische Ausstrahlung durch Schauspieler darstellen. Derartige Versuche hat es schon gegeben; sie waren aber nicht sehr authentisch und darüber hinaus extrem teuer.
Schließlich muss man wissen, dass 70 Prozent des Lernens "on the Job" erfolgt. Mit dem eLearning müsste man also individuelle Führungssituationen simulieren. Dabei geraten jedoch selbst die besten Führungsplanspiele an ihre Grenzen. Es ist durchaus denkbar, dass derartige innovative Ansätze entwickelt werden; zurzeit ist in dieser Hinsicht aber noch weit und breit nichts zu sehen.
Könnten Sie uns ein Beispiel aus Ihrer Praxis geben, das verdeutlicht, mit welcher Problematik Führungskräfte-Trainings typischerweise befasst sind?
Prof. Dr. Waldemar Pelz: Die Antwort auf diese Frage ergibt aus der skizzierten Struktur des Lernens: 10-20-70. Ein weiteres Beispiel ist der Umgang mit emotional belastenden Situationen. Diese können extrem viel Stress verursachen und leicht zu einem Burn-out führen.
Abgesehen von solchen Aufgaben haben wir es mit der Verbesserung der täglichen Führungspraxis zu tun. Das reicht vom Training persönlicher Kompetenzen wie Konflikt-, Team- oder Kommunikationsfähigkeit bis hin zur Delegation, Leitung von Sitzungen, Verhandlungsführung oder zur Verbesserung der Emotionalen Intelligenz. Die zentrale Frage ist dabei in der Regel: "Wie kann ich mein Verhalten ändern, um die Unternehmensziele schneller und effizienter zu erreichen."
Welche Trends sehen Sie im Leadership Development der nächsten Jahre?
Prof. Dr. Waldemar Pelz: Ein Trend besteht darin, dass man immer weniger die allgemeinen Kompetenzen trainiert, sondern die Führungskräfteentwicklung auf die Strategie und die zukünftigen Herausforderungen des Unternehmens abstellt.
Es geht also um die gezielte, individuelle Förderung von Mitarbeitern nach einer sorgfältigen Kompetenzdiagnose; zum Beispiel durch ein Management-Audit oder ein 360-Grad-Feedback. Dies kombiniert man mit firmenspezifischen Methoden der Leistungsbeurteilung und Potenzialeinschätzung. Der Hintergrund: Wirtschaftlicher Erfolg ist sehr eng mit Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit verbunden. Das hat sich allerdings in vielen Unternehmen noch nicht herumgesprochen.
Die Folge ist, dass nach internnationalen Studien nur etwa 20 Prozent aller Mitarbeiter engagiert arbeiten. Zahlreiche empirische Untersuchungen haben ergeben, dass gute Führung den wirtschaftlichen Erfolg, also Rendite und Wachstum, um das Zwei- bis Dreifache erhöhen kann. Erfolgreiche Firmen haben das schon früh erkennt; nun kommen die vielen Nachzügler, die auf diesen Zug aufspringen wollen. Das wird uns also noch lange beschäftigen.
Ein weiterer Trend resultiert aus einem Paradigmenwechsel in den vergangenen Jahren. In vielen Trainings spielen Führungsmodelle wie das der "Situativen Führung" oder die Motivationstheorien von Maslow, Herzberg oder Sprenger eine große Rolle. Vielfach werden "Führungsstile" eingeübt. Auch Persönlichkeitstests sind wieder in Mode gekommen.Neuerdings ist die Rede von "Neuro-Theorien" wie die des "Limbischen Systems".
Die kritische Prüfung dieser Ansätze zeigt, dass die meisten davon im Hinblick auf den Führungserfolg die gleiche Zuverlässigkeit haben wie ein Horoskop. Deswegen geht der Trend in Richtung auf messbares Verhalten, auf firmenspezifische Kompetenzen und objektivierbare Ergebnisse.
Das Anliegen besteht darin, aus den Erfahrungen der am besten geführten Unternehmen zu lernen. Das können zum einen die "Most Admired Companies" nach Fortune oder die "Hidden Champions" aus dem überaus erfolgreichen Deutschen Mittelstand sein.
Wohin der dritte Trend führt, ist zurzeit noch nicht absehbar, nämlich die Entwicklung des Web 2.0. Mein erster Eindruck aus Gesprächen mit Führungskräften besteht darin, dass es dabei an Ehrlichkeit, Authentizität und Vertrauenswürdigkeit fehlt - sobald es ums "Eingemachte" geht. Nach dem Hype könnte das Pendel in die andere Richtung umschlagen: Weg von der anonymen Elektronik, hin zur persönlichen Kommunikation.
Es ist der Effekt der Übersättigung mit Modevokabeln, der Überflutung mit irrelevanten Informationen und der Belästigung mit sinnlosen eMails, die den Wunsch nach direkten zwischenmenschlichen Beziehungen stärkt. Das eLearning steht also von einer neuen Herausforderung, nämlich Lösungen anzubieten, die den menschlichen Bedürfnissen gerecht werden und nicht die Illusion einer Problemlösung vermitteln.
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