ELearning mit Biss im Phantomkurslabor
Tübingen, März 2010 - (von Gabriella Parditka) Blendend weiße Zahnleiste, in regelmäßigen Abständen - ein tolles Gebiss! Leider kann ich das aber nur ganz kurz bewundern. Ein Zahnbohrer nähert sich - und bohrt in den perfekten, blitzblanken Zahn ein tiefes Loch. Ich schaudere. Meine einzige Erleichterung ist, dass ich nicht das üble hohe Bohrergesumme höre, sondern beruhigende Kaufhausmelodien. Was ich gerade anschaue ist einer der vielen Übungsfilme für Zahnmedizin-Studenten. Die angehenden Zahnärzte üben an erstrangigen Arbeitsplätzen im sogenannten Phantomkurslabor. In diesem Labor hat jeder Student einen eigenen Bildschirm, an dem er seinem Lerntempo gemäß die Übungsfilme so oft anschauen, anhalten, zurückspulen kann, wie er will. Das Bohren und Füllen oder das Halten der einzelnen Instrumente wird dann gleich an den Phantomköpfen geübt.
Wie funktioniert eLearning im Phantomlabor?
Dr. med. dent. Marco M. Herz: Jeder Student muss sich zu Beginn des klinischen Abschnitts seines Studiums einen nicht ganz billigen Koffer kaufen, in dem sämtliche Instrumente für den zahnärztlichen Beruf zu finden sind. Im ersten Schritt müssen sich die Studierenden mit diesem Koffer vertraut machen. Wir haben von diesen Instrumenten Fotos in Gesamt- und Detailansichten angefertigt. Die Studenten können sich diese zu Hause auf dem Rechner vorab anschauen. Anhand der Fotos ist es für die Studierenden viel einfacher, etwas über den Gesamtinhalt und einzelne Instrumente zu erfahren sowie die Fachbegriffe einzuüben.
Es ist jedoch auch ganz wichtig, dass die Studierenden nicht nur wissen, wie das Instrument heißt, sondern wozu man es braucht. Daher werden wir in der Zukunft auch das Einsatzgebiet der Instrumente filmen - aber die Filmerstellung kostet eben Zeit.
Wie setzen Sie Filme in der Lehre ein?
Dr. med. dent. Marco M. Herz: Zu sämtlichen Unterrichtsschritten, zum Beispiel Backenzahnfüllung, drehen wir kurze Filmsequenzen. Die Filme werden im Phantomlabor oder im Hörsaal erstellt; wir haben hier ein nahezu komplettes Equipment mit Visualizer und Filmschnittcomputer. Das sogenannte Phantomlabor haben wir ganz neu eingerichtet. In diesem Saal hat jeder Student einen eigenen Bildschirm am Arbeitsplatz und er kann die Übungsfilme so oft anschauen, wie er will. Das ist das Allerbeste, was einem passieren kann.
Der Student macht seine Arbeit, zum Beispiel die Kunststofffüllung im Backenzahnbereich, schaut sich den Film an und kann dabei an jeder Stelle eine Pause machen und es nochmal anschauen: Wie hat der Dozent präpariert? Wie muss ich jetzt das Instrument halten? Welches Instrument kommt wann zum Einsatz? Gleichzeitig können sie die Arbeitsschritte gleich am Phantomkopf üben. Es ist ein echter Fortschritt.
Wo finden die Studenten diese Übungsfilme?
Dr. med. dent. Marco M. Herz: Wir haben die Filme schon vorher im Unterricht eingesetzt, aber da fehlte die Zeit und die Räumlichkeit, die Filme mehrfach zu zeigen. Nun haben wir die Filme und weitere Lernmaterialien wie Gebrauchsanweisungen, Röntgenverordnung digital ins Ilias-Lernmanagementsystem eingestellt. Die Studierenden können jetzt diese Materialien zu Hause in aller Ruhe anschauen.
Manche Filme waren schon zum Teil vorhanden, die mussten aber in das entsprechende Format gebracht werden, damit wir die im Ilias-Lernmanagement-System ablegen konnten. Die Dateiformate der Filme waren sehr groß, daher habe ich eine CD zu Stefan Rieger in die Unibibliothek geschickt und er hat dann die Umformatierung für uns erledigt. Diese Filme werden sehr stark nachgefragt.
Wie wurden die Online-Lernmaterialien erstellt?
Dr. med. dent. Marco M. Herz: Unsere Handout- und Vorlesungsskripte, Fotolisten, Röntgenbildlisten, etc. mussten in PDF-Dateien umgewandelt werden und danach ins Lernmanagement-System hochgeladen werden. Diese Online-Lernmaterialien und die Kurse wurden mit Passwörtern versehen, um zu verhindern, dass diese Materialien frei im Web herumgeistern. Die Fotos haben Assistenzärzte, z.B. auch während ihrer Behandlungen, erstellt. Deren Urheberrechte werden geschützt, indem man sich nur mit Login-ID und Passwort in das Lernsystem Ilias einloggen und dort die Fotos anschauen kann.
Welche Rückmeldungen erhalten Sie von den Studierenden?
Dr. med. dent. Marco M. Herz: Die Reaktionen der Studenten in einem ersten Interview sind durchaus positiv. In der Evaluation, die wir im letzten Sommersemester durchgeführt haben, haben sich die Studenten sehr positiv geäußert. Als positiv wird vor allen angeführt, dass diese enorme Zettelwirtschaft, in puncto Handouts, Skripten und so weiter entfällt.
Die Studenten können alles von zu Hause aus runterladen und ausdrucken. Früher musste ein "armer" Kommilitone für 31 Leute alles kopieren. Dies entfällt jetzt und wird sehr dankbar aufgenommen. Ein weiterer positiver Punkt ist das Angebot von Filmen zu sehr konkreten Problemen. Etwa der Film "Wie mache ich die Füllung im Seitenzahnbereich am besten?" wird sehr häufig angeschaut.
Am nächsten Tag kommen dann spezielle Fragen auf, die mir zeigen, dass diese Filme kritisch begutachtet werden: "Der hat aber im Film das und jenes Instrument verwendet, wieso eigentlich?" Dieses Feedback zeigt, dass diese Filme auch wirklich angeschaut werden und dann muss man auch als Dozent gewappnet sein.
Welche Vorteile sehen Sie als Dozent im eLearning?
Dr. med. dent. Marco M. Herz: Für mich als Lehrender ist es auch ein großer Vorteil, dass ich über die filmische Dokumentation zum dezentralen Selbststudium auch z.B. die Klausur- und Testatergebnisse online bekannt geben kann. Diese Ergebnisse wurden früher als Listen ausgehängt, was aber wegen des Datenschutzes sehr kritisch war. Die Anonymität ist nun im Ilias-Lernsystem gewährleistet und ich kann sogar kurze Kommentare zu den Ergebnissen hinzuschreiben. Das erleichtert meine Arbeit.
Vielen Dank für das Gespräch!
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