Transferwirksamkeit

Wissen in "erfolgskritisches Handeln" umsetzen

Dr. Ina Weinbauer-HeidelKarlsruhe/St. Valentin (A), Dezember 2019 – Als Gründerin des Instituts für Transferwirksamkeit hat Dr. Ina Weinbauer-Heidel das Buch "Was Trainings wirklich wirksam macht" veröffentlicht. Darin beschreibt sie die zwölf Stellhebel der Transferwirksamkeit. Im Rahmen des LEARNTEC-Kongresses spricht sie über ihre praktischen Erfahrungen und Einsichten am 29. Januar 2020 um 10.45 Uhr.

Bitte geben Sie uns eine kurze Erläuterung des Begriffs "Transferwirksamkeit". Wie wird sie heute ermittelt oder gemessen?

Dr. Ina Weinbauer-Heidel: Unter Transfer verstehen wir, Baldwin und Ford folgend, das Ausmaß, zu dem Teilnehmende Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen, die sie im Trainingskontext erworben haben, im Arbeitskontext effektiv anwenden. Es geht also darum, wie viel des in einem Trainings.- bzw. vom Arbeitsplatz getrennten Lernkontext Gelernten - sei es Präsenz, Blended, eLearning, via VR, uvm - tatsächlich bei der Arbeit angewandt und genutzt wird.

Auf die zweite Frage kann ich aus zwei Perspektiven antworten: Aus der Perspektive der Transferforschung gibt eine Vielzahl verschiedenste Methoden und Modelle zur Messung und Evaluierung des Transfererfolges – am weitesten verbreitet sind Kirkpatricks vier Ebenen oder Brinkerhoffs Success Case Method. Das Entscheidende bei diesen Modellen ist, dass sie nicht bei der Zufriedenheit der Teilnehmer beginnen und aufhören (also Fragen wie "wie gut hat Ihnen das Programm gefallen") oder beim Lernerfolg (der etwa durch Quizzes oder Tests gemessen wird), sondern dass der Business Impact ins Zentrum gestellt und bei ihm begonnen wird.

Also was soll sich im Unternehmen verändern (z.B. KPI’s) oder zu welchen strategischen Zielen soll das Programm einen Beitrag leisten (z.B. Digitalisierung, Erschließung neuer Märkte etc.) oder welcher "Pain" / welches Problem soll bewältigt werden (z.B. Wir sind zu langsam um auf ständig ändernde Kundenbedürfnisse zu reagieren).

Dann wird von diesem Ziel ausgehend das "erfolgskritische Handeln" der Teilnehmer in den Mittelpunkt gestellt. Also: Was sollen die Teilnehmenden an ihrem Arbeitsplatz ganz konkret tun (nicht WISSEN sondern TUN)? Wie müssten MitarbeiterInnen handeln, damit der Business Impact erreicht werden kann. Das nennt die Transferforschung "erfolgskritisches Verhalten" oder auch Transferziele. Und DAS ist es, worauf die Evaluierung im Kern abzielen sollte.

Zusätzlich sollte wir nicht nur das "OB" messen (also handeln die TN tatsächlich anders) sondern auch fragen "WARUM" – also was sind die Gründe dafür, dass die Teilnehmer ihr Handeln tatsächlich verändert haben oder eben nicht – und hier wird schon deutlich, dass das eben NICHT nur am Trainingsprogramm selbst liegen kann sondern an ganz vielen anderen, oft organisationalen Faktoren wie etwa den Führungskräften oder den (fehlenden) Anwendungsmöglichkeiten in der Organisation. Diese Faktoren sind für den Transfererfolg genau so entscheidend, oft sogar entscheidender als die Inhalte oder die Technik und Methodik der Vermittlung.

Wenn ich die Frage anders verstehe als "wie messen Unternehmen heute die Transferwirksamkeit" fällt die Antwort anders aus und lautet: Im überwiegenden Fall leider gar nicht! Denn fast 90% der Unternehmen evaluieren ihre Programme primär auf der Ebene der Zufriedenheit  – also die klassischen Happy-Sheets am Ende des Seminars, wie die Forscher liebevoll sagen (gilt auch für das digitale Pendant dazu), oder aber sie nehmen den Lernerfolg noch dazu – also die Evaluierung des Wissens vor und nach dem Programm.
Die Forschung zeigt aber ganz klar, dass "mit einem Programm zufrieden sein" bzw. "viel Wissen angehäuft zu haben", nichts darüber aussagt, wie viel davon wir tatsächlich auch umsetzen. Das kann helfen, aber es garantiert und belegt nichts. Und dennoch treffen viele Unternehmen ihre Entscheidung über den Erfolg und die Fortführung des eines Trainingsprogramms rein aufgrund dieser Zufriedenheits- und Wissensanhäufungs-Ergebnisse.
Das bedeutet, sie steuern im Blindflug bzw. sorgen unbeabsichtigterweise sogar noch dafür, dass „Feel-Good“-Trainings den Vorzug und den Folgeauftrag bekommen. Und das obwohl wir alle wissen, dass Lernen nicht innerhalb unserer Komfortzone stattfindet, sondern dort, wo wir uns einen Schritt darüber hinaus wagen – und dass nicht viel Information zu Können führt, sondern viel üben, ausprobieren und reflektieren.

Zusätzlich haben wir durch die Evaluierung der Zufriedenheit auch noch eine fragliche Signalwirkung. Wenn wir nur messen, ob die Teilnhemenden zufrieden mit dem Training waren und die Inhalte bulimieartig wiedergeben können, dann signalisieren wir "Es ist uns als Unternehmen wichtig, dass unsere Trainings gefallen bzw. dass ihr Wissen wiedergeben könnt". Gemäß dem Motto "What gets measured gets done" sollten wir jedoch eigentlich signalisieren: "Es ist uns als Unternehmen wichtig, dass ihr das Gelernte erfolgreich anwendet und wir damit gemeinsam als Unternehmen vorankommen".

 

Unterscheiden Sie die richtigen Mittel zum Erreichen von Transferwirksamkeit anhand unterschiedlicher Trainingsformen?

Dr. Ina Weinbauer-Heidel: Tatsächlich unterscheiden sich die Mittel weniger als intuitiv angenommen wird. Wenn Transfer im oben ausgeführten Sinne das Ziel ist, also das veränderte Handeln am Arbeitsplatz, dann ist alles entscheidend, was zu diesem Handeln führt bzw. es verhindert. Das Wissen, das ich zum erfolgreichen Handeln benötige bzw. die Art wie das Wissen erworben wird ist natürlich Teil davon aber ganz entscheidend und oft entscheidender als die Art des Wissenserwerbs sind dafür persönliche Faktoren wie meine Motivation für die Handlung, oder wie gut es mir gelingt, neue Routinen auch langfristig beizubehalten oder auch die schon erwähnten organisationalen Faktoren wie etwa was meine Führungskraft dazu sagt, oder meine KollegInnen.

Aktuell nehme ich wahr, dass wir uns wieder ganz viel mit der „richtigen“ Form der Vermittlung beschäftigen – also welche Technik, welche Software und welche Methode ist besonders wirksam – aber am Ende ist es immer der Mensch, der es im besten Fall schafft, sein Handeln erfolgreich und langfristig zu verändern. Da kann Technik helfen, aber nur über die richtige Technik zu diskutieren verschleiert oft die eigentlichen Barrieren – wie fehlende Unterstützung im Unternehmen für die neuen Ideen, die Unternehmenskultur die dafür nicht bereit ist, etc. Diese Transferbarrieren wiegen meist viel schwerer als „die richtige Vermittlung“ und bekommen im Zuge der Digitalisierung viel zu wenig Aufmerksamkeit.

 

Welche Mittel sind dann im digitalen Lernkontext eher wirksam oder unwirksam?

Dr. Ina Weinbauer-Heidel: Wir arbeiten mit den 12 Stellhebeln der Transferwirksamkeit. Beim digitalen Lernen kommen zusätzliche potentielle Barriere zu den klassischen Stellhebeln der Transferwirksamkeit dazu, nämlich die individuellen Fähigkeiten, Einstellungen und Vorerfahrungen im Umgang mit diesen Medien sowie ganz pragmatisch natürlich, dass die Nutzung dieser Medien an meinem Lernplatz technisch auch möglich ist und das entsprechende Equipment vorhanden ist. Zusätzlich erfordert digitales Lernen oft mehr Selbststeuerung und Volition (alltagssprachlich Willensstärke), denn im klassischen Präsenzseminar ist es eben weniger wahrscheinlich, dass mein Lernen ständig unterbrochen wird durch den Arbeitsalltag oder die unwiderstehlichen Aufmerksamkeitsfallen die wir alle kennen, während ich mir bei selbstgesteuerten eLearnings diesen ungestörten Kokon selbst schaffen muss.

Gleichzeitig bieten digitale Lernumgebungen geniale neue Möglichkeiten, die den Transfer auf nie dagewesene Weise fördern können, wie etwa Self-Tracking das nachweislich ungemein hilfreich ist, um neue Verhaltensweisen in langfristige Routinen zu überführen oder verschiedenste Formen der für den Transfer so entscheidenden Vorgesetzten oder Peer Unterstützung ohne unleistbaren Reise- und Zeitaufwand. Oder auch den Stellhebel "Aktives Üben" – also das erfolgskritische Verhalten im realistischen Kontext üben können – das war im Seminarraum oft nur schwer möglich bzw. brauchte eigene riesige Simulationsgeräte. In Zeiten von VR können Teilnehmende echte Erfahrungen mit dem neuen Handeln machen und damit viel mehr Transferwirksamkeit erreichen.

Im Kern bleibt wie oben erwähnt das Ziel ja das selbe: Menschen beim Handeln erfolgreich machen. Die Faktoren oder Stellhebel, dass Verhaltensänderung gelingt sind dieselben, nur haben wir jetzt ein breiteres Spektrum an Möglichkeiten um diese zu bedienen.

 

Worauf sollten Trainingsentwickler und jene, die die Trainings einsetzen, generell achten?

Dr. Ina Weinbauer-Heidel: Fünf Punkte sind aus unserer Sicht besonders entscheidend:

  1. Nicht nur das Trainingsdesign berücksichtigen, sondern auch auf die transferentscheidenden Faktoren bei den Teilnehmenden und in der Organisation schauen. Wie Brinkerhoff und Gill so schön sagten "The Workplace can untrain people far more efficiently than even the best training department can train people"
  2. Nicht das Mittel (die Methode, die Technologie) zum Ziel krönen: Nur weil es bestimmte neue Lerntechnologien gibt und ich die richtig klasse finde, bedeutet das nicht, dass sie für meine Trainingsinitiative geeignet sind. Und nur weil wir es "immer mit Präsenzseminare gemacht haben" heißt das nicht, dass es nicht wirksamere Formen gibt. Wir sollten mehr Energie aufwenden um über das Ziel – den Business Impact und das erfolgskritische Verhalten zu sprechen und erst dann – ohne Hype und Beharrungstendenzen – über das Mittel.
  3. Training nicht unreflektiert als Standardlösung für jedes organisationale Problem verwenden, sondern die Ursache des Problems beheben. Salopp gesagt: Wenn im Team zu viele Burn-Out Fälle sind, brauchen wir oft nicht das zwanzigste Resilienz- und Burn-Out Präventions Training sondern investieren das Geld lieber in effizientere Prozesse oder einen zusätzlichen Mitarbeiter.
  4. Nicht nur Zufriedenheit, Wissen und Completion Rates messen sondern das, was wir mit der Trainingsinitiative tatsächlich erreichen wollten – das erfolgreiche Handeln am Arbeitsplatz und den Business Impact.
  5. Nicht nur auf Transfererfolge hoffen, sondern sie gezielt steuern. Beispielsweise indem wir uns die Frage stellen, ob wir auch alle transferentscheidenden Stellhebel in unserem Transferkonzept berücksichtigt haben. Forschung und Praxis zeigen: der Transfererfolg ist steuerbar – das macht unsere Arbeit sinnvoller und es macht dabei auch noch richtig Spaß, Transferwirksamkeit gezielt zu designen!