Erfolgsrezept

Die Kultivierung des intentionalen Lernens

Matthew Smith, Chief Learning Officer bei McKinseyParis/Zürich/Berlin, Juni 2021 - Nicht nur der Arbeitsalltag verändert sich, sondern auch die Fortbildungskultur in Unternehmen. Während Learning & Development-Abteilungen nach neuen Konzepten und Formaten suchen, liegt nach Matthew Smith, CLO bei McKinsey in Paris, das Erfolgsrezept in der Kultivierung des intentionalen Lernens. Was es mit diesem Konzept auf sich hat und wie es sich zielführend umsetzen lässt, erzählt er Michael Wiederstein, Executive Editor bei getAbstract, im Interview.

Michael Wiederstein: Matthew Smith, Sie haben sich intensiv damit beschäftigt, was es braucht, um bewusst und organisiert zu lernen. Dies schafft Führungskräften enorme Vorteile, wenn es darum geht, mit dem konstanten Wandel mitzuhalten. Bei all den Schlagwörtern, die über die Kultivierung von Neugier und die Entwicklung von Lernansprüchen kursieren: Was hebt Ihren Ansatz des bewussten Lernens von den anderen ab?

Matthew Smith: Ich möchte zunächst einen kleinen Schritt zurücktreten und erklären, wie wir zu diesem Konzept des bewussten Lernens gekommen sind. Die Idee entstand, als wir viele unserer Kunden und die Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiteten, analysierten. Die große Mehrheit von ihnen erkannte, dass sie an ihren Fähigkeiten arbeiten und eine Kompetenzlücke schließen mussten. Doch es ist es eine Sache, das zu wissen, und eine ganz andere, dies in die Praxis umzusetzen.

Es geht also nicht so sehr um das Konzept, sondern um die Umsetzung?

Matthew Smith: In der Tat. Wir haben gefragt: Woran scheitern die aktuellen Weiterbildungs- oder Transformationsprogramme? Ein großes Problem ist, dass wir von Menschen verlangen, komplett neue Kompetenzen zu erlernen, was für die meisten von uns sehr schwer ist. Menschen, die sich eine erfolgreiche Karriere aufgebaut haben, besitzen nicht unbedingt die Gewohnheiten, neue Fähigkeiten zu erlernen – und das ist in einer schnelllebigen Geschäftswelt entscheidend. Wir haben versucht, von diesem Standpunkt auszugehen und zu fragen: Was zeichnet die Menschen aus, die neue Fähigkeiten erlernen können? Wie denken sie über das Lernen und was tun sie?
Dies ist ein sehr komplexes Themenfeld, in welchem wir unterschiedliche Forschungsansätze untersucht haben, von denen es einige schon seit Jahrzehnten gibt, um die Herangehensweise für effektives Lernen als Modell zu identifizieren. Als wir die Literatur durchforsteten, unsere eigenen Erfahrungen und die unserer Kunden betrachteten, zog sich das Konzept des bewussten Lernens wie ein roter Faden hindurch. Anders gesagt: Entscheidend ist die aktive Suche nach Gelegenheiten zum Lernen sowie das bewusste Lernen bei zufälligen Gelegenheiten, die sich uns tagtäglich bieten. Dabei helfen bestimmte Mindsets, aber auch einige Gewohnheiten und Praktiken.

Bevor wir uns das genauer anschauen: Das heißt, jeder von uns kann bewusst lernen? Selbst diejenigen, die nur glauben, dass sie das eigentlich bereits tun?

Matthew Smith: Ja, absolut. Ein Mentor von mir sagte einmal zu mir: Jedes Unternehmen wird sich selbst als kundenorientiert einschätzen. Aber frägt man dann nach einigen ihrer Vorgehensweisen, etwa wie schnell jemand einen Kunden kennen lernt, wenn er neu ins Unternehmen kommt, erkennt man den Unterschied. Also, ja, wir können alle behaupten, "natürlich, ich bin ein guter, schneller und lebenslanger Lerner, ich interessiere mich für das Thema." Das sind jedoch alles nur Etiketten, die wir uns selbst oder anderen aufdrücken können.
Gehen wir eine Ebene tiefer und fragen: "Wie gehen Sie in Ihrem Arbeitsalltag mit Lernprozessen um? Welche Fähigkeiten haben Ihre Leute, wenn es darum geht, das meiste aus den vielen Situation zu holen, die sich uns alltäglich bieten?"

Sie haben zwei wichtige Mindsets und fünf Kernregeln identifiziert, die Menschen auf ihrem Weg zum bewussten Lernen helfen. Lassen Sie uns diese der Reihe nach durchgehen. Können Sie mir bitte eine kurze Zusammenfassung zu den Denkweisen geben?

Matthew Smith: Wir haben zwei grundlegende Denkweisen identifiziert, die beim effektiven, intentionalen Lernen angewendet und fünf Gewohnheiten, die täglich umgesetzt werden. Die erste ist eine Wachstumsmentalität; diese Idee stammt aus der Arbeit von Carol Dweck und anderen, die sich damit beschäftigt haben: Habe ich bei einem bestimmten Thema das Gefühl, dass dies ein Bereich ist, in dem ich wachsen und besser werden kann? Oder ist dies ein Bereich, in dem ich denke, dass meine Fähigkeiten mehr oder weniger auf dem Niveau sind, auf dem sie sein können und sich nicht weiterentwickeln werden?
Hier stehen sich eine Wachstums- und eine starre Denkweise gegenüber. Dies lässt sich auf jeden Lebensbereich anwenden: Wie gut man Auto fahren kann, wie schnell man lesen kann, wie gut man in öffentlichen Reden ist. Man sollte sich immer fragen: Habe ich diesbezüglich eher eine Wachstums- oder eine starre Denkweise? Wir haben herausgefunden, dass die Wachstumsmentalität die Eintrittskarte ist, um sich effektives Lernen anzueignen, denn im Kern geht es um den Glauben daran, dass ich in etwas besser werden kann; dass es sich lohnt, in meine Weiterentwicklung zu investieren, weil ich wachsen kann.

Und wenn Sie schon meinen, eigentlich alles zu wissen?

Matthew Smith: Dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass Sie bewusst Energie investieren, um besser zu werden. Das führt uns schon zum zweiten grundlegenden Mindset: Eine Denkweise der Neugierde. Simon Brown geht in "The Curious Advantage" davon aus, dass Wachstumsmentalität die Eintrittskarte sei und Neugier der Impuls, tatsächlich durch den Eingang zu gehen.
Neugierde ist so gesehen der Treibstoff, der das Lernen antreibt. Es ist der Wunsch, mehr über etwas wissen zu wollen. Das ist der Grund, warum Personen mit der Fähigkeit des "intentionalen Lernens" neugieriger sind als andere Kollegen. Sie fragen sich, was sie aus einer Situation lernen können, wie etwas funktioniert, was andere Menschen gerade denken oder wie jemand mit einer anderen Perspektive auf diese Frage schauen würde. Neugierige Menschen neigen dazu, mehr Fragen zu stellen und entdecken so täglich mehr Gelegenheiten zum Lernen.

Und die meiste Zeit erkennen sie das nicht einmal. Das heißt, wenn man intentionales Lernen beherrscht, geschieht dies unbewusst

Matthew Smith: Richtig. Eine oft gestellte Frage ist, ob manche Menschen einfach neugierig sind und andere weniger. Die Antwort ist: Nein. Neugierde lässt sich steigern, vergleichbar mit dem Willen sich Weiterzuentwickeln, etwa wie ein Muskel, den man trainieren kann. Bei manchen Menschen kommt sie ganz natürlich, andere können sie kultivieren. Wenn wir die Straße entlang gehen und neugierig auf das sind, was um uns herum passiert, stellen wir fest, dass währenddessen viele neue Fragen auftauchen. Und so ist es natürlich auch am Arbeitsplatz.

Beschäftigen wir uns also mit den fünf Gewohnheiten des effektiven Lernens, die Sie identifiziert haben.

Matthew Smith: Zuerst gilt es, sich kleinere, klar festgelegte Ziele zu setzen. Natürlich haben wir alle viele verschiedene Pläne und Ziele. Aber ich spreche explizit von Lernzielen: Was sind die spezifischen Dinge, die ich lernen möchte, die für mich wichtig sind? Sie müssen konkret genug sein, so dass ich weiß, ob ich Fortschritte mache oder nicht.
Es ist vergleichbar mit dem bewährten psychologischen Konzept: "Denken Sie an die Farbe Rot und schauen Sie sich jetzt im Raum um", dann werden Sie anfangen, jedes rote Objekt zu sehen. Wenn man sich ein Lernziel setzt, fängt man auch an, mehr Gelegenheiten zum Lernen zu erkennen. Ein realistischer Zeitrahmen für ein Lernziel kann beispielsweise drei Monate betragen.

Was hilft dabei, diese Ziele zu erreichen?

Matthew Smith: Eine zweite wichtige Regel ist die Reduzierung von Ablenkungen. Im Home Office habe ich das iPad zu meiner Linken, mein Handy direkt daneben, vor mir den Computer und ein weiteres Telefon zu meiner rechten. Und die meisten von uns haben einen Kalender, der vollgepackt ist mit Zoom-Meetings oder Telefonkonferenzen. Die Ablenkungen, die mit diesen Tools einhergehen, sind aus unserer Sicht der größte Feind des Lernens – vor allem für Berufstätige. Deshalb sollte beim intentionalen Lernen versucht werden, Ablenkungen bei der Weiterbildung zu vermeiden.

Jeder von uns kann damit anfangen, unnötige Benachrichtigungen auszuschalten und herausfinden, was uns auf eine Aufgabe fokussieren lässt.

Matthew Smith: In Vorträgen zu diesem Thema starte ich oft mit der Frage ins Publikum: Was wollen Sie von dem heutigen Vortrag lernen? Es geht darum, ein klares Ziel zu setzen, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was einem im Weg steht, und was dagegen unternommen werden kann. Natürlich lassen sich Emails ausschalten während eines Gesprächs, für andere könnten jedoch Ablenkungen reduziert werden, indem sie sich selbst einen Vier-Stunden-Blocker in den Kalender eintragen und sich so gezielt Zeit fürs Lernen nehmen.

Ich hatte vor zwei Wochen ein Gespräch mit Cal Newport, und er empfahl, zwei Stunden am Morgen und zwei Stunden am Nachmittag zu blocken, in denen man einfach alle Geräte ausschaltet und fokussiert arbeitet – und Lernen ist vergleichbar mit fokussierter Arbeit.

Matthew Smith: Cal ist einer der besten Autoren zu diesem Thema. Natürlich muss man sich die nötige Zeit für bestimmte Arten von Arbeit nehmen – denn wir lernen bereits eine Menge in der Alltagspraxis. Dieses Lernen unterliegt dem Fluss dessen, was wir tun. Wir sollten also versuchen, nicht nur den Fokus-Zeitplan einzuhalten, sondern auch so viel wie möglich aus einem Meeting oder einer Konversation mitzunehmen.

Hier kommt das Thema Feedback ins Spiel.

Matthew Smith: Ich denke, die meisten von uns wissen, dass das aktive Einholen von Feedback wichtig ist, um als Experte und als Mensch zu wachsen. Es gibt aber einen Unterschied zwischen den besten und den mittelmäßigen Lernern. Denn beim intentionalen Lernen geht es darum, aktiv Feedback von vielen Menschen im Umfeld einzuholen, um so die gesetzten Ziele zu erreichen.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: Nehmen wir einmal an, ich möchte bessere Präsentationen halten. In der Praxis kann es gut sein, dass ich einmal monatlich oder alle paar Monate eine Präsentation halte. Wenn ich dann sporadisch meinen Chef oder Vorgesetzten nach Feedback frage, wird es hier sehr wahrscheinlich kein hilfreiches Feedback geben – einfach aus dem Grund, dass die Präsentation im Detail nicht mehr präsent genug ist.

Was sollte ich stattdessen tun?

Matthew Smith: Daher sollte das Prozedere eher so aussehen, dass ich noch vor einer anstehenden Präsentation einen Kollegen bitte, sich diese genau anzuhören, da ich an meinem Präsentationsstil arbeite. So kann dieser mir anschließend in einem fünfminütigem Feedbackgespräch verbesserungswürdige Aspekte mitteilen.
Das ist kein langer und formeller Prozess, sondern kurz, knapp und auf den Punkt und am wichtigsten: Es ist mit meinen Zielen verbunden. Es ist die Art von umsetzbarem Feedback, das die besten Lernenden in ihren täglichen Erfahrungen suchen. Deswegen ist es sehr wichtig, die aktive Forderung nach Feedback im Alltag zu kultivieren.

Die ersten drei Regeln werden in einer leicht zu merkenden Formel zusammengefasst, die McKinsey kommuniziert: "3x3x3" – "Drei Ziele, drei Monate, drei Kollegen". Das klingt an sich umsetzbar, aber was mache ich, wenn ich bereits mit Arbeit überhäuft bin und meine Kollegen es auch sind? Wie können wir als Team diese Praxis kultivieren?

Matthew Smith: Die gute Nachricht ist: Es ist weniger Arbeit als Sie denken, solange Sie den bewussten Fokus darauflegen. Und es ist nicht schwer, eine Dynamik oder eine Kultur innerhalb von Teams zu schaffen, in denen man sich gegenseitig auf diese Weise kontinuierlich unterstützt. 3x3x3 ist eine Heuristik oder ein netter, einfacher Weg, den wir geschaffen haben, um uns daran zu erinnern, wie man das in der Praxis umsetzt.
Oft werde ich gefragt, ob es genau drei Monate sein müssen. Die Antwort ist nein, es geht lediglich darum einen angemessenen Zeitrahmen zu setzen, um dann zu entscheiden, ob ich das Ziel um weitere drei Monate verfolge – also mehr ein klar definierter Prüfpunkt. Außerdem ist entscheidend, dass man andere Menschen in das eigene Lernen einbezieht, denn wir alle haben blinde Flecke, besonders im Alltag.

Wer sollten diese Menschen sein? Personen, zu denen ich aufschaue, wenn es um eine bestimmte Fähigkeit geht?

Matthew Smith: Das hängt sehr von den gesetzten Zielen ab. Ich rate dazu, sich bei den Menschen umzuschauen, mit denen man am meisten zusammenarbeitet. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um leitende Mitarbeiter oder Kollegen handelt, oder um Menschen, die einem unterstellt sind, vielleicht auch um Menschen, mit denen man in funktionsübergreifenden Teams oder nur selten zusammenarbeitet. Entscheidend ist, dass es relevante Personen für die Ziele sind, an denen man arbeiten möchte.
Meine Frau sorgt sich sehr um mich, und sie sorgt sich sehr um mein Lernen, aber sie sieht mich nicht im Kontext meiner Präsentationen, oder wenn ich versuche, sie zu analysieren – also ist sie vielleicht nicht die richtige Person, um mit ihr über dieses Ziel zu sprechen. Man sollte also überlegen, wer die Leute sind, die einen genug sehen und die im abgesteckten Zeitraum genug Kontakt mit einem haben, um hilfreiche Tipps und umsetzbares Feedback zu geben. Dieses Feedback kann aus jedem Teil des Unternehmens kommen, sofern genug Kontakt besteht.

Und Praxis Nummer vier?

Matthew Smith: Tipp Nummer vier ist die Übung an sich. Es geht darum, die Fähigkeiten zu üben, die man verbessern möchte. Allerdings ist es wichtig zu wissen, dass es gibt mehr oder weniger effiziente Übungen gibt, wie jeder weiß, der zum Beispiel versucht, ein Musikinstrument zu lernen. Ich spreche vom bewussten Üben, das wiederum ein Konzept aus einer ganzen Reihe von Wissenschaften ist. Anders Ericsson hat dazu ein Buch mit dem Titel "Peak" geschrieben, das alles zusammenfasst, was man wissen muss.
Der Schlüsseldes bewussten Übens ist sich auf Teilziele des großen ganzen Zieles zu fokussieren. Man nimmt sich dazu jeweils einen Teil des zu Lernenden vor, und versucht, Übung darin zu bekommen, indem man etwas wiederholt probiert, Feedback dazu bekommt und solange daran weiterarbeitet, bis man sich in diesem Teilbereich sicher fühlt. Ist es soweit, wählt man entweder einen nächsten, anspruchsvolleren Teil, und übt ihn oder sucht sich einen anderen Bereich, um dann daran zu arbeiten. Nur sehr wenige von uns üben in einem professionellen Umfeld bewusst. Weil es echte Konzentration und Anstrengung erfordert.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Matthew Smith: Nun, ich lerne zurzeit Klavierspielen und mein Lehrer sagt mir immer, ich müsse die einzelnen Takte in kleinen Abschnitten lernen, bevor ich das ganze Stück auf einmal spielen könne. Und das stimmt. Bewusstes Üben in Bereichen, in denen man wachsen möchte, bedeutet, sich auf einzelne kleine Teilziele zu konzentrieren und andere Leute mit einzubeziehen, um Feedback zu erhalten.
Es macht vielleicht nicht so viel Spaß, wie das ganze Stück durchzuspielen – aber es bringt mehr. Das finden Sie raus, wenn Sie die fünfte Gewohnheit, die fünfte Praxisregel anwenden: regelmäßige Reflexion. Denn es ist entscheidend, das Gelernte rückblickend zu verankern, um es anwenden zu können, ohne sich dabei bewusst darauf konzentrieren zu müssen.

Aber Reflexion findet auf vielen verschiedenen Ebenen statt. Wie kann man diese in den Alltag integrieren, wenn man mitten im Geschehen ist?

Matthew Smith: Ich beginne gerne mit der Grundlage, also dem Sprechen, wenn ich in einem Meeting oder einer Interkation bin. Kann ich reflektieren, was während des Meetings geschieht, während es gerade passiert? Kann ich auf der Tanzfläche tanzen und gleichzeitig auf dem Balkon? Dieses Bild stammt aus der Arbeit von Ronald Heifetz und Marty Linsky: Wie kann ich tanzen, aber mich gleichzeitig von außen wahrnehmen, um zu sehen, was in dem Moment passiert? Was sind die Dynamiken? Was kann ich daraus lernen?
Viele Menschen profitieren dabei von einer gewissen Achtsamkeitspraxis, um regelmäßig einen Schritt zurückzutreten und dem eigenen Geist das Fokussieren anzutrainieren. Sie beschäftigen sich mit einem Thema und entscheiden, worauf sie sich als nächstes fokussieren möchten. Ich denke es ist auch sehr wichtig, das zu reflektieren, was ich gelernt habe. Reflexion ist quasi eine Verdauung des Gelernten, die fortlaufend stattfindet.

Was sind nach Ihren Untersuchungen die größten Hindernisse beim Aufbau eines organisatorischen Ökosystems, das die Menschen befähigt, diese Tipps und Denkweisen in ihren Arbeitsablauf zu integrieren?

Matthew Smith: Da gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass nichts von dem, worüber wir heute gesprochen haben, eine enorme Menge an Zeit beansprucht. Wir reden hier nicht von mehrtägigen formalen Lernprogrammen. Das sind alles Regeln und Ansätze, die man in einen typischen Arbeitstag einbringt, ohne dass es auffällt – wenn man denn will.
Die schlechte Nachricht ist, wie Sie schon sagten, dass es auch auf die Organisationskultur ankommt und ob die nun mehr oder weniger Akzeptanz oder Unterstützung für die Anstrengungen der Mitarbeiter zur Weiterentwicklung aufbringt.

Welche Rolle spielen dabei CEOs und Manager?

Matthew Smith: Eine entscheidende. Ich kenne einige großartige Beispiele von Unternehmen, in denen CEOs viel über die Wichtigkeit des Lernens und die Schaffung einer Kultur der Lernenden gesprochen haben. Microsoft hat das in den letzten Jahren gut gemacht. Novartis ist ebenfalls ein Unternehmen, das sehr viel Wert auf Weiterbildung legt.
Wenn Führungskräfte dieses Umfeld schaffen, haben Mitarbeiter nicht das Gefühl, für die persönliche Weiterentwicklung um Erlaubnis bitten zu müssen. Denn Unternehmen schaffen auf natürliche Weise ein Umfeld, in dem immer mehr Menschen Dinge ausprobieren wollen und offen dafür sind, mit anderen über ihre Fragen oder ihre Fortschritte zu sprechen.
Das ist der Punkt, an dem es den großen Knall gibt, denn das Ergebnis multipliziert sich: Wenn Teams anfangen, bewusst und gemeinsam zu lernen. Jemand muss einfach die Diskussion darüber starten, und wenn der CEO es tut: großartig! Aber das kann auch jeder von uns sein. Wichtig ist, dass es passiert.

Was sind die "Systemvoraussetzungen", um diesen Wandel anzustoßen?

Matthew Smith: Ich denke, man muss in seinen Teams genügend psychologische Sicherheit und Raum haben, um diese Art von Diskussionen zu führen. Denn für einige von uns ist es immer noch ein Zeichen von Verletzlichkeit, über die Dinge zu sprechen, die wir nicht wissen oder in denen wir besser werden möchten. Man muss ein Umfeld haben, in dem man offen darüber sprechen kann, woran man arbeitet und wie man vorwärtskommen will – und wie man die dazu benötigte Hilfe von den Kollegen bekommt.

Wie können L&D-Profis dieses Umfeld unterstützen?

Matthew Smith: Es muss eine Verschiebung von der Produktion und Wiederholung von Inhalten hin zu der Frage geben, wie man Menschen dabei helfen kann, Entwicklungswünsche zu spüren und die neuen Fähigkeiten selbständig zu lernen. Im nächsten Schritt muss man die notwendigen Ressourcen anbieten, die die Kollegen brauchen, um auf ihre eigene Art und Weise zu lernen. Als L&D-Experte muss man sich fragen: Wie schaffe ich eine Kultur der Lernenden? Wie schaffe ich eine Kultur der Lehrenden? Wie baue ich die Fähigkeiten im Arbeitsumfeld auf, sodass Personen eigenständig lernen können?
Ich glaube nicht, dass L&D-Verantwortliche arbeitslos werden, wenn sie vom Produzenten zum Ermöglicher werden. Im Gegenteil, sie haben eine neue Aufgabe: die richtigen Ressourcen zu finden, diese verfügbar zu machen und sie für die Mitarbeiter leicht zugängig zu machen. Es geht also weiterhin darum, Lern-Ökosysteme zu schaffen und zu pflegen, aber mit diesem Trend werden die L&D-Abteilungen letztendlich vor allem eines: Entlastet.

 

Das Original-Interview (in englischer Sprache) wurde zuvor im getAbstract Journal publiziert und kann hier nachgelesen werden.