Nationale Weiterbildungsstrategie: Fluch oder Segen?
Wiesbaden, September 2019 - Es tut sich was in der Bildungspolitik: Auf das Qualifizierungschancengesetz zum Jahresbeginn folgte im Juni die erste nationale Weiterbildungsstrategie in Deutschland, ins Leben gerufen von der Bundesagentur für Arbeit, Bund, Ländern, Gewerkschaften und der Wirtschaft. Handlungsbedarf der Politik besteht allemal, der Ansatz hat aber dennoch einige Schwachstellen, findet Holger Bräunlich von Valamis.
"Weiterbildung im Beruf muss zum Arbeitsalltag gehören", so Bundesbildungsministerin Anja Karliczek. Wie Recht sie hat! Eine neue Weiterbildungskultur soll in der Arbeitswelt geschaffen werden. Ein genauerer Blick auf die angestrebten Maßnahmen der Weiterbildungsstrategie lässt jedoch zweifeln, ob der gewünschte Effekt auch eintreffen wird.
Förderung mit Fußangeln
Laut Qualifizierungschancengesetz können Unternehmen Förderungen für die berufsqualifizierende Weiterbildung ihrer Mitarbeiter unter zwei Bedingungen beantragen: Erstens muss die letzte Maßnahme mehr als vier Jahre zurückliegen, und zweitens sollen die Weiterbildungsmaßnahmen nicht direkt im Unternehmenskontext stattfinden. Beide Voraussetzungen sind kritisch zu sehen:
Die Frist suggeriert Unternehmen, sich frühestens nach vier Jahren um die Weiterentwicklung der Mitarbeiter zu kümmern. Ein fatales Zeichen! In einem solch langen Zeitraum passieren rasante technologische Entwicklungen. Fachwissen ist längst überholt ist und entspricht nicht mehr den aktuellen Anforderungen. Weiterbildung muss kontinuierlich geschehen, und zwar in einem Turnus, der sich nach dem Bedarf von Mitarbeitern und Innovationszyklen richtet.
Ziel der Weiterbildungsstrategie: eine neue Weiterbildungskultur, Stichwort Lebenslanges Lernen. Haben die Maßnahmen aber so große Zeitabstände, hat Lernen mit dem Arbeitsalltag wenig zu tun und findet isoliert statt. Erst wenn sich Weiterbildung und Weiterentwicklung bedarfsorientiert in den Arbeitsalltag integrieren, sodass sie nicht mehr als zusätzliche Pflicht angesehen werden, sondern aus einer natürlichen Motivation heraus erfolgen, können wir von einer echten Kultur sprechen. Dann werden Kompetenzen kontinuierlich weiterentwickelt.
Die Technologie muss dem Lernenden dienen
Zur zweiten Bedingung: Die Weiterbildungsmaßnahmen sollen nicht direkt im Unternehmenskontext stattfinden. Ist das der Fall, sind sie meist weder auf den speziellen Bedarf des Unternehmens, noch auf den individuellen Bedarf des Mitarbeiters zugeschnitten. Die Lernenden müssen Transfer zurück auf den eigenen Arbeitsplatz selbst bewältigen. Treten dann im Arbeitsalltag Fragen oder Probleme auf, sind die Lernenden auf sich gestellt.
In den klassischen, externen Trainings treffen Lernende mit den unterschiedlichsten Kenntnisständen, Bedürfnissen und Lerngewohnheiten aufeinander, und alle bekommen dieselbe Kursabfolge. Dabei wissen wir, dass sich das Lernverhalten über die Generationen hinweg stark ändert und die Ansprüche, etwa an das Medium oder das Format, von Mensch zu Mensch variieren. So haben wir in unserer aktuellen Studie zum Thema Lebenslanges Lernen herausgefunden, dass vier von fünf der 18-29-Jährigen Präsenzseminare nicht als bevorzugte Lernmethode ansehen. Ein Umdenken im Trainingsaufbau ist hier dringend nötig! Es ist schier unmöglich, mit einem einheitlichen Training Lernenden mit unterschiedlichem Wissensstand und unterschiedlichen Zielen die nötige Kompetenz zu vermitteln.
Dabei setzt das Bundesministerium für Bildung und Forschung ja schon auf den Einsatz neuer Technologie: In einem Innovationswettbewerb wird eine digitale Lernplattform "Milla" (für "Modulares interaktives lebensbegleitendes Lernen für alle") ausgeschrieben, die einen einfachen Zugriff auf Weiterbildungsangebote ermöglichen soll. Mit der Lernplattform kann das Ministerium ein deutliches Zeichen in Sachen modernes Lernen setzen!
Eine digitale Lernplattform kann die Motivation für lebenslanges Lernen fördern, indem sie integriert im Arbeitsalltag genutzt werden kann. Immer dann, wenn Wissen benötigt wird, können die Nutzer sich die Information abrufen. Künstliche Intelligenz ist in der Lage, die Lerndaten jedes Nutzers zu erfassen und auszuwerten. Aus der Analyse kann die KI die folgerichtigen nächsten Lerninhalte automatisiert bereitstellen. Das Lernen findet so im Arbeitsalltag der natürlichen Neugier und dem akuten Wissensbedarf folgend statt.
Ich würde mir wünschen, dass Unternehmen mehr darin unterstützt werden, zeitgemäßes Corporate Learning anzubieten und Förderungen nicht nur in externe Qualifikationsmaßnahmen, sondern auch in den Aufbau unternehmensinterner Lerninfrastrukturen fließen. Nur wenn Unternehmen auf Unterstützung bei der permanenten, bedarfsorientierten und individuellen Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter bauen können, wird der Aufbau des benötigten Fachwissens für den Strukturwandel möglich sein.
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