Aus- und Weiterbildung 4.0: Neue Kompetenzen gefordert
Köln, November 2023 - Homeoffice, Cybersicherheit, Künstliche Intelligenz: Die rasanten Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit haben den Stellenwert der Digitalisierung der Arbeitswelt erneut unterstrichen. Das hat deutliche Folgen für die Aus- und Weiterbildung.
Die breite Diskussion und Nutzung KI-basierter Anwendungen wie dem omnipräsenten Chat-Bot ChatGPT in diesem Jahr waren eine Zäsur. Das gilt für Forschung und Alltag, aber in besonderem Maße für die Arbeitswelt, die sprunghaft noch digitalisierter und schnelllebiger wird. Neben neuen Inhalten entstehen zudem gänzlich neue Berufsfelder, die nach modernen Fachkräften verlangen — immer wieder aufs Neue. Lebenslanges Lernen wird einmal mehr zur Notwendigkeit. Doch ist das eine Aufgabe, die jede und jeder Einzelne angehen muss? Und sind die Voraussetzungen überhaupt gegeben?
Digitalisierte Arbeitswelt: Ungehobenes Potenzial
Zwar ist Deutschland in einigen ausgewählten digitalen Bereichen führend, landet in internationalen Umfragen und Rankings zur Digitalisierung jedoch meist im Mittelfeld, beispielsweise auf Platz 13 des EU-internen DESI-Index.
Ähnlich sieht offenbar die Arbeitswelt in deutschen Unternehmen aus. Der 2022er Report "Digitale Transformation der Arbeitswelt" des DGB zeigt zwar, dass mehr als 80 Prozent der befragten Arbeitnehmenden digitale Arbeitsmittel nutzen. Deren Potenzial werde jedoch viel zu selten ausgeschöpft und die zusätzlichen Hilfsmittel oft sogar negativ wahrgenommen: Rund 40 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich bei der Arbeit durch die Digitalisierung stärker belastet fühlen als zuvor. Der Tenor: steigender Arbeitsaufwand statt spürbarer Erleichterung sowie zusätzlich ein Gefühl der Fremdbestimmung.
Laut einer aktuellen Bitkom-Studie befürchtet ein Großteil der deutschen Unternehmen, den Anschluss an bereits besser aufgestellte Wettbewerber zu verlieren. "Die Unternehmen haben die Bedeutung der Digitalisierung für die eigene Zukunft erkannt. Sie wissen aber offenbar nicht, wie sie die Digitalisierung angehen sollen", so der neue Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst. Dafür braucht es neben institutionellen Neuerungen auch fittes Fachpersonal.
Ausbildung muss digitaler werden
Bereits im Bildungsbereich werden immer wieder Versäumnisse beim Umgang mit Technologie deutlich – gerade in der beruflichen Bildung, die mit den veränderten Ansprüchen der Arbeitswelt häufig nicht Schritt hält: Laut aktuellem Ausbildungsreport der Jugend des DGB sind vier von zehn Auszubildenden mit der digitalen Ausstattung ihrer Berufsschulen unzufrieden.
DGB-Bundesjugendsekretär Kristof Becker mahnte entsprechend: "Politik und Arbeitgeber müssen deutlich mehr tun, damit die Duale Ausbildung auch im Digitalzeitalter funktioniert. Wer Fachkräfte gewinnen will, muss sie zeitgemäß und mit modernsten Lernmethoden ausbilden, sonst wird das nichts mit dem Wandel unserer Arbeitswelt."
Digitalisierte Arbeitswelt stellt neue Anforderungen
Das ist auch deshalb wichtig, weil klassische Berufsbilder durch den digitalen Wandel laut Expertinnen und Experten eher in den Hintergrund rücken. So berichtet beispielsweise die BWL-Professorin und mehrfache Aufsichtsrätin Yasmin Weiß im didacta-Bildungspodcast: "Wir werden in Zukunft Stellenbeschreibungen sehen, die gar keine konkrete Tätigkeit mehr beschreiben. Letztendlich suchen wir alle Menschen, die anpassungsfähig sind, die Problemlöser sind."
Auf dem Arbeitsmarkt 4.0 sind laut Weiß, die über Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf den Arbeitsmarkt forscht, sieben Meta-Kompetenzen relevant, die sie auch in ihrem Buch "Weltbeste Bildung" beschreibt: Lernkompetenz, kritisches Denken, Problemlösungskompetenz, Kreativität, Resilienz, Selbstkompetenz und Sozialkompetenz.
"Unser Ausbildungssystem muss Menschen auf diese Art und Weise, wie wir in Zukunft arbeiten werden, viel besser vorbereiten", sagt sie und liefert in ihrem Buch Vorschläge. "Besonders die Wirtschaft muss stärker in die Erst- und die weiterführende berufsbegleitende Ausbildung integriert werden."
Darunter stellt sich Weiß beispielsweise anwendungsnahe und authentische Einblicke durch engagierte Praktiker:innen vor, die von Unternehmen als "praxiserfahrene Lehrbeauftragte" an Kindergärten und Schulen entsandt werden. Eines wird bei ihren Ausführungen deutlich: Um mit den Entwicklungen und Herausforderungen rund um Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie Schritt zu halten, müssen das Individuum, aber auch Wirtschaft, Politik und Gesellschaft an einem Strang ziehen.
Lebenslanges Lernen wird unumgänglich
Nur durch kontinuierliche Weiterbildung und ein entsprechend umfassendes Lernangebot bleiben Fachkräfte auch in fortgeschrittenen Lebensphasen up to date. Wie das gelingen kann, erläutert Prof. Dr. Oliver Thomas im didacta-Themendienst 2023: "Die Kunst ist es, die Inhalte attraktiv zu machen und sie auf Mitarbeitende jeden Alters und auch in Abhängigkeit ihrer Kompetenzen auszurichten und passgenau zu machen."
Beim Angebot besteht jedoch noch Handlungsbedarf: So fordert eine aktuelle Studie des Netzwerkbüros Bildung im Strukturwandel in Mitteldeutschland (BiSMit), dass technologisch fortschrittliche Unternehmen stärker eingebunden und mehr Kooperationen zwischen Weiterbildungsanbietern initiiert werden müssten, um der Vielfalt an neuen Weiterbildungsbedarfen gerecht werden zu können.
Aber auch Unternehmen sind gefragt: Einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zufolge betreiben derzeit nur 43 Prozent der Unternehmen eine langfristige Planung der Zusatzqualifizierung, um ihre Beschäftigten für zukünftige Anforderungen fit zu machen.
Häufigere Quereinstiege
Bei all den Herausforderungen eröffnet der rasante Wandel aber auch neue Möglichkeiten. So entstehen aktuell gänzlich neue Berufsbilder, die nach lernbereiten Quereinsteiger:innen verlangen. Beispiel Künstliche Intelligenz: Sogenannte Prompt Engineers füttern KI-Anwendungen mit konkreten Anweisungen, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Natural Language Processing-Expert:innen wiederum entwickeln Algorithmen und Modelle, mit denen menschliche Sprache verarbeitbar wird. Gesucht werden beispielsweise Sprachwissenschaftler:innen, die bereit sind, ihre Expertise in eine neue Richtung zu lenken und auszubauen. Für das jeweils notwendige Basis-Wissen sorgen vor allem zielgerichtete Weiterbildungen.
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