Professionalisierung

"L&D gewinnt unternehmensintern immer mehr an Bedeutung"

Wolfram SpoenleinBerlin, Dezember 2017 - In der Community als Learning Expert bekannt, hat Wolfram Spoenlein 20 Jahre Erfahrung in der eLearning-Branche gesammelt und viele Trends, Hypes und Schwankungen des Marktes miterlebt. Als Global Project Manager von NetG und Skillsoft, dann als Consultant Director und später für Motorola als Learning Solution Architect und Global Account Manager kennt er die Branche national und international wie kaum ein anderer. CHECK.point eLearning sprach mit dem heute Selbständigen über seine Einschätzung der wichtigsten aktuellen Trends im Corporate eLearning.

Was halten Sie für den aktuell wichtigsten Trend im Corporate eLearning und warum?

Wolfram Spoenlein: Ich sehe aktuelle mehrere Trends im Bereich L&D. Sie reichen vom Wandel zum selbstinitiierten und -gesteuertem Lernen, über die Optimierung von Prozessen in der Lernverwaltung und das Erstellen und Entwicklung von Materialien (SCRUM), bis hin zum Outsourcing und Offshoring von Trainingsadministration und Vendor Management.
Damit einher geht eine Professionalisierung von Learning and Development sowohl auf der Anbieterseite als auch in den Unternehmen – verbunden mit neuen Technologien wie Video, VR/AR mit und ohne Just-in-time und Remote Support.

Besonders spannend ist für mich die Entwicklung, dass L&D inklusive der unterschiedlichen Arten von medienbasierten Lerninhalten unternehmensintern immer mehr an Bedeutung gewinnt, - mit allen Vor- und Nachteilen. Früher wurde es als Notwendigkeit angesehen, doch der Return on Education wurde in den meisten Führungsetagen als wenig bis nicht vorhanden eingestuft. Selten galt L&D als etwas, das ein Unternehmen nach vorne bringt.
In den letzten Jahren nehme ich bei Kunden aller Unternehmensgrößen einen Wandel in der Wahrnehmung von L&D wahr, bedingt durch den sehr schnellen Technologiewandel, der aktuelles Wissen fordert und dem damit einhergehenden Mangel an qualifizierten Kandidaten usw. Dies führt dazu, dass L&D zu einem - mit den anderen Fachbereichen - gleichwertigen Partner wird und entsprechende  Aufmerksamkeit erhält.

Gleichzeitig ist damit auch eine neue Qualität bei den L&D-Spezialisten gefragt, die ebenso fachlich wie wirtschaftlich "savvy" sein sollten und sich auch im Boardroom behaupten können.

Hier würde ich mich über praxisnahe Ausbildungsmöglichkeiten für Learning Consultant und Lernarchitekten freuen, die das Thema Kalkulation, Ausschreibungen, Projekt- und Eventmanagement, Ver- und Einkauf von Trainingsleistungen und Wirtschaftlichkeitsberechnungen in einen Lehrplan integrieren.

 

Welche Rolle werden künftig AR und VR spielen und für welche Branchen sind sie relevant?

Wolfram Spoenlein: Es ist um VR/AR deutlich ruhiger geworden als im letzten Jahr. Hier setzt nun scheinbar die Phase ein, in der man sich gut überlegt, wofür man es sinnvoll einsetzen sollte. VR/AR gibt sicherlich keine Antwort auf alle Weiterbildungsfragen, aber in bestimmten Bereichen ist es  sicherlich erfolgreich zu platzieren. Dabei sind in meinen Augen technische und naturwissenschaftliche Themen interessanter als kaufmännische und Softskills.

VT/AR-Anwendungen können einem Techniker die Möglichkeit geben, komplexe Systeme zu durchschauen wie etwa Fahrstühle, Züge, Funkanlagen und vieles mehr  und so ein besseres Verständnis zu erlangen. Wenn das Ganze als Moment-of-Need-Lösung sogar mit Remote Expertise, also einem spezialisierten Helpdesk, kombiniert ist, unterstützt das den Techniker vor Ort bei der Lösung von Problemen maßgeblich.

Hier sehe ich für Unternehmen, die Lösungen in Regionen anbieten, in denen Kampfhandlungen, hohe Kriminalität, gesundheitliche Gefahren oder ähnliches drohen, die Möglichkeit, Expertenwissen schnell verfügbar zu machen, ohne Zeit zu verlieren und ohne die Experten zu gefährden.

Ein Konzept, an dem wir gearbeitet haben, ist z.B. die Instandhaltung und Reparatur von Kommunikationsanlagen in Gebieten, in denen es zu Kampfhandlungen kommt oder eine andere akute Gefahrenlage vorliegt. Hier kann auch ein technisch weniger qualifizierter Kollege vor Ort durch Augmented Reality Applikationen auf seinem Tablet bei Wartungstätigkeiten unterstützt werden, bzw. auch durch die Hilfe eines in einem Büro sitzenden Experten, der durch seine VR Brille visuell vor Ort ist.

Wie bei allen anderen Trends wird der Einsatz im RL (real life) aber definieren, ob und wie sich die neue Technologie wirklich durchsetzt. Als langjähriger Nutzer einer PS4 habe ich natürlich auch die dazugehörige VR-Ausstattung zu Hause und muss bekennen, dass sich langsam Staub darauf ansammelt. Der Reiz des Neuen ist schon verflogen und das Angebot an Applikationen bzw. Spielen ist immer noch überschaubar.

 

Ist Performance Support die einzige Antwort des Corporate eLearning auf den Megatrend Digitalisierung?

Wolfram Spoenlein: Neben Performance Support sehe ich auch eine Optimierung der Prozesse im Bereich Trainingsadministration und Vendor Management, also der Verwaltung aller Lieferanten eines Unternehmens im Bereich L&D als wichtig an. Die zum Teil sehr fraktale und häufig Excel-basierende Planung und Verwaltung von Schulungen inkl. Ressourcen und Teilnehmern, also Prozessschritte wie Terminplanung, Ressourcenverwaltung, Einladungen an Teilnehmer usw., ist meist sehr arbeits- und zeitaufwendig. Hier liegt ein großes Potenzial, um Ressourcen und Kosten zu optimieren.

Durch ein effizientes Vendor Management wird die interne Synchronisierung in der professionellen Zusammenarbeit mit externen Anbietern vereinfacht, Transparenz bei der Anbieterauswahl erreicht und zeitgleich definierte Prozesse gelebt.

 

Wie schätzen Sie die Zukunft von Chatbots für das Corporate eLearning ein?

Wolfram Spoenlein: Chatbots sind Computerprogramme, die mittels künstlicher Intelligenz einen Dialog zwischen Personen imitieren. Sie werden mehr und mehr im Helpdesk und im Customer Support eingesetzt. Wir haben sicherlich schon öfter mit einem Agenten eines DSL-Anbieters kommuniziert, der eigentlich ein Bot war. Diese Anwendungen werden kontinuierlich smarter und lernen mit jedem Call, den sie bearbeiten besser, sich auf Fragen der Nutzer einzustellen und, basierend auf den zur Verfügung stehenden Informationen, Lösungen für Probleme anbieten zu können.

Warum sollte diese Möglichkeit, schnell und effektiv vorhandenes Wissen, Dokumente und Erfahrungen ebenso wie dokumentierte Best Practises abrufen zu können, nicht genutzt werden?
Viele unternehmensweiten Anwendungen werden kontinuierlich optimiert, was Anwender, die nur selten mit der Lösung arbeiten, oft vor eine Herausforderung stellt, sich auf neue User-Interfaces und geänderte Prozesse einstellen zu müssen. Hier durch einen Bot schnelle Hilfe bei der Eingabe von Daten oder ähnlichem, also in einem "Moment of Need", erhalten zu können, betrachte ich als echten Vorteil für den Nutzer. Es macht es auch für die L&D-Organisation einfacher, basierend auf der Analyse der Anfragen, zielorientiert Lernkonzepte zu entwickeln, die sich am aktuellen Bedarf orientieren.

Ein weiteres Einsatzgebiet wäre für mich auch der Bereich des Certification-Managements, also der Verwaltung von internen und externen Zertifizierungen. Hier könnten Bots unterstützen, indem sie den Mitarbeiter, der sich auf eine Prüfung vorbereitet, rechtzeitig "an der Hand nehmen" und seinen Fortschritt bei der Aneignung des prüfungsrelevanten Wissens begleiten und motivieren. Sollte der Erfolg der Prüfung jedoch - etwa durch erhebliche anderweitige Arbeitsbelastung - in Frage stehen, was für Unternehmen im IT-Umfeld zum Teil erhebliche negative Auswirkungen haben kann, würde ein Bot die zuständigen Stellen und Abteilungen rechtzeitig über das Risiko informieren, was ein Gegensteuern ermöglicht.

 

Welche Szenarien der KI-Einsatzes halten Sie für vorstellbar?

Wolfram Spoenlein: Wir wundern uns ja heute schon nicht mehr, dass wir Werbung und Angebote erhalten, die sich an Themen orientiert, die für uns relevant sind. Oder dass uns Nachrichten besonders häufig zu jenen Themen angeboten werden, die uns interessieren. Warum sollte das nicht auch im Bereich von Wissens- und Kompetenzerweiterung ähnlich sein?

Wenn ich eine neue berufliche Rolle übernehme, fände ich es hilfreich, wenn das Onboarding besser auf mich als Individuum ausgerichtet würde, wenn vorhandene Kompetenzen und Fertigkeiten, Lernfortschritte und Mitarbeit an Projekten analysiert und berücksichtigt würden und Klassiker wie Data Protection Kurse entfallen könnten, weil ich sie in meiner vorherigen Berufsposition schon durchlaufen habe.

Die Erfassung und Analyse von Daten, etwa durch kontinuierliches Performance Management im Unternehmen, ist ja bereits im L&D Bereich angekommen. Der Vorschlag, bestimmte Lerneinheiten zu absolvieren, weil ich es z.B. seit einigen Wochen öfter mit "What-If Kalkulationen" zu tun habe und dabei langsamer bin als vergleichbare Kollegen, kann mir ja helfen, meine Arbeit mit weniger Aufwand zu erledigen.

Ebenso kann es sehr interessant sein, Informationen meines Fitnesstrackers mit meiner Tätigkeit abzugleichen, um z.B. rechtzeitig Extrembelastungen durch arbeitsbedingten Stress in bestimmten Situationen zu erkennen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Sei es, ein Meditationsprogramm auf dem PC zu starten, sei es, den Katalog des BGWs aufzuschlagen oder die dafür zuständigen Stellen im Unternehmen darüber zu informieren, dass eine Stresssituation zu lange andauert.

Ähnlich könnten im Produktionsbereich durch die "Same time"- Auswertung von Videostreams auch Gefahrensituationen erkannt und die Mitarbeiter sofort entsprechend gewarnt werden. Darüber hinaus ließen sich Lerneinheiten in den individuellen Lernplan einfügen, um diese Gefahren auch in Zukunft zu vermeiden.

Auch in anderen Bereichen werden Datenanalyse und KI eingesetzt werden, denn schon heute werden Veröffentlichungen, Blogs, Badges und Profile aus Sozialen Netzwerken bei der Bewerberauswahl ausgewertet. Warum sollte dann ein Social Rating durch Kunden und Kollegen nicht das Mitarbeitergespräch und die bekannten 360 bzw. 180 Grad Analysen ablösen, um neben anderen Faktoren bei der Berechnung von Boni und Beförderungen berücksichtigt zu werden?

All das bewegt sich allerdings schon in Grenzbereiche hinein, in denen die KI zwar zum Nutzen des einzelnen Mitarbeiters eingesetzt wird, zeitgleich aber doch die Vision vom "Großen Bruder" nach George Orwell immer mehr Realität wird.