Düstere Aussichten und wenig konkrete Konzepte
Berlin, Januar 2007 - Der Fachkräftemangel und die veränderten Qualifikationsstrukturen als Herausforderung für Unternehmen und Bildungseinrichtungen sind das Thema einer eintägigen Konferenz des FiBS (Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie) am 5. Februar 2007 in Berlin. Dr. Dieter Dohmen, Leiter des FiBS sprach mit CHECKpoint eLearning über die absehbare Zukunftsentwicklung, die mehrere Untersuchungen als "dramatisch" beschreiben.
Herr Dohmen, gerade haben Sie noch Bundesbildungsministerin Annette Schavan ein Konzept zum Bildungssparen, der Finanzierung beruflicher Weiterbildung vorgelegt. Anfang Februar veranstalten Sie eine Konferenz, die sich der Schnittstelle Bildung und Wirtschaft widmet. Um was geht es hier?
Dr. Dieter Dohmen: Unsere Konferenz "Demografischer Wandel, Bildung und Personalentwicklung" versucht eine Brücke zwischen den Entscheidern und Gestaltern zu schlagen, die Nachwuchskräfte oder Fach- und Führungskräfte aus- und weiterbilden, die geeigneten Nachwuchs suchen, Mitarbeiter binden oder für deren Höherqualifizierung zuständig sind. Das FiBS bringt hier Verantwortliche aus Bildungseinrichtungen und Unternehmen, aber auch Verbänden und Ministerien an einen Tisch, um angesichts des demografischen Wandels und veränderter Bildungsstrukturen gemeinsam über die Zukunft beider Bereiche zu diskutieren und konkrete Konzepte zu entwickeln.
Viele Schlagworte fallen in der bislang getrennt geführten Diskussion, aber es gibt nur wenig konkrete und innovative Konzepte, die beide Seiten mit Ihren Ansprüchen, Herausforderungen und vor allem Potenzialen berücksichtigen. Die FiBS-Konferenz bietet den Teilnehmern diese wichtige umfassende Perspektive und Auseinandersetzung, indem sie die Beteiligten mit ihrem Bedarf und ihren Ideen zusammenführt und auf der Basis aktueller Studienergebnisse Anregungen und Empfehlungen gibt.
Reichen denn die bisherigen Bildungsstrukturen und Personalentwicklungskonzepte nicht mehr?
Dr. Dieter Dohmen: Die Situation für Bildungseinrichtungen und Unternehmen verändert sich zusehends, in den neuen Bundesländern noch eher und stärker als in den alten. Die Unternehmen werden mit neuen Qualifizierungswegen wie Bachelor und Master konfrontiert und müssen dafür neue Karrierewege entwickeln. Gleichzeitig verändert sich die Bedeutung der beruflichen Ausbildung, insbesondere der dualen Ausbildung.
Viele Unternehmen bilden nicht mehr in dem Umfang aus wie früher, sei es, weil der Bedarf sinkt oder die Jugendlichen die Voraussetzungen nicht mehr haben. Aber natürlich wird auch die Konkurrenz zwischen beruflich Ausgebildeten und Bachelorabsolventen stärker und es stellt sich die Frage, welche Folge sich dadurch für die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen ergibt. Wir vermuten, dass sie sinken wirkt.
Gleichzeitig führt der demografische Wandel zunächst dazu, dass den Betrieben die ausbildungswilligen Jugendlichen fehlen. Wo heute noch Jugendliche um Ausbildungsplätze buhlen, werden bald die Unternehmen um Auszubildende buhlen. Die Hochschulen werden kurze Zeit später betroffen sein, woraus wiederum wenige Jahre später ein Mangel an hochqualifizierten Nachwuchskräften für die Unternehmen folgen.
Was sich heute schon bei den Ingenieur- und Naturwissenschaftlichern zeigt, wird dann zunächst die gesamte ostdeutsche Wirtschaft treffen - und kurz danach auch die westdeutschen Unternehmen. Dies wird zu einem Konkurrenzkampf der Unternehmen um Hoch- und Höchstqualifizierte führen, bei dem die Unternehmen gewinnen, die sich die frühzeitig und umfassend darauf einstellen. Employer Branding kann allenfalls der Anfang sein.
Sie legen auf der Konferenz eine Prognose zu Studierenden und Arbeitsmarkt vor. Was ist das Ergebnis und was ist neu daran?
Dr. Dieter Dohmen: Unsere Betrachtungen verdeutlichen das Ausmaß des Fachkräftemangels nach den unterschiedlichen Qualifikationsstufen, insbesondere nach der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen in den Hochschulen. Ferner berücksichtigen wir die explizit oder implizit vorgesehenen Zugangsbeschränkungen beim Übergang in das Masterstudium. Dies führt zu einer künstlichen Verknappung des Angebots an Höchstqualifizierten und verschärft den Druck auf die Unternehmen.
Konkret in Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass den deutschen Unternehmen in zwanzig Jahren pro Jahr bis zu 60.000 Höchstqualifizierte fehlen werden, wenn wir nur den Ersatzbedarf betrachten.
Aber bis dahin ist doch noch lange hin?
Dr. Dieter Dohmen: Auf den ersten Blick ist Ihre Aussage richtig. Allerdings gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern, die durch die genannte Zahl verdeckt wird. In den neuen Bundesländern fehlen bereits in wenigen Jahren jährlich über 10.000 und ab 2015 gar 20.000 Masterabsolventen.
Was sich wenig anhört, bedeutet bei etwa 30.000 ausscheidenden Akademikern, dass ein bzw. zwei Drittel der freiwerdenden Stellen nicht gleichwertig besetzt werden können. Und selbst wenn man die Bachelorabsolventen mit einbeziehen würde, fehlen immer noch fast 10.000 Akademiker - pro Jahr wohlbemerkt.
Dann bleiben doch immer noch die Hochschulabsolventen aus dem Westen.
Dr. Dieter Dohmen: Das hängt sehr davon ab, wo die Unternehmen angesiedelt sind. In Dresden oder Leipzig sieht es besser aus als in kleineren und häufig unbekannten Orten mitten in den neuen Ländern. Auch große Unternehmen haben wesentlich bessere Chancen als kleine; es wird zum Wettstreit zwischen großen und kleinen Unternehmen kommen. Und es ist klar, wer gewinnt und wer verliert - die Kleinen.
Dazu kommt, dass die ostdeutschen Unternehmen viel höhere Löhne werden zahlen müssen, wodurch sie ihren heutigen Wettbewerbsvorteil verlieren werden. Unabhängig davon merken aber heute schon viele Unternehmen, wie schwer es ist, geeigneten Nachwuchs zu bekommen.
Was schlagen Sie den Unternehmen vor?
Dr. Dieter Dohmen: Für alle Unternehmen gilt ein ähnliches. Sie müssen für Hochqualifizierte attraktiv sein, z.B. durch spannende Karrierewege, gute Weiterbildungsmöglichkeiten und Wissensmanagementstrukturen, eine hervorragende Vereinbarkeit von Familie und Beruf und natürlich flexible Arbeitszeitgestaltung, einschließlich Sabbaticals, um nur einige Punkte zu nennen.
Betrachten wir die Veränderungen im Bildungswesen und die immer schneller steigenden Anforderungen aufgrund neuer Technologien, neuen Wissens und neuer Produkte, dann werden Weiterbildungsmöglichkeiten dabei eine ganz besondere Bedeutung bekommen. können dabei die Finanzierung des Masterstudiums ebenso umfassen, wie die Vereinbarkeit von Masterstudium und Beruf, ggf. noch ergänzt durch die Familie.
Es wird auch wieder durchlässigere Strukturen von der Berufsausbildung über das Bachelor- bis hin zum Masterstudium geben, will man für die besseren Auszubildenden attraktiv sein. Waren Karrierewege in den letzten Jahren doch eher auf Akademiker zugeschnitten und nur selten für Personen mit einer Berufsausbildung gedacht, dürfte sich dies in Zukunft wieder verändern. Man wird in Zukunft auch mit einer Berufsausbildung wieder in die Chefetage aufsteigen können. Die Anforderungen an die Personalplanung und das Personalentwicklung werden steigen.
Welche konkreten Beispiele für gute Personalentwickungskonzepte gibt es?
Dr. Dieter Dohmen: Auf der Konferenz werden verschiedene Ansätze sowohl im Plenum als auch in den Foren vorgestellt. Das Spektrum reicht von der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Unternehmen zur Nachwuchssicherung bis zur Förderung älterer Mitarbeiter. Aber auch von den Hochschulen und Ministerien kommen neue Ansätze, etwa im Bereich Weiterbildung, die für die Unternehmen interessant sein können. Dies gilt auch für die Weiterbildungsträger. "Die" Lösung kann dann jede Institution, jede Organisation nur für sich selbst entwickeln. Die präsentierten Ideen, die Diskussionen und Ansichten konkreter Lösungen helfen, diese folgenschwere Auswahl besser treffen zu können.
Warum ist es denn so schwer, sich als Hochschule oder Unternehmen richtig auf die Veränderungen einzustellen?
Dr. Dieter Dohmen: Bildung gilt nicht gerade als "sexy". Individuen tun sich hier schwer, wie wir schon bei den Studien zu unserem Konzept zum Bildungssparen wieder sehr deutlich feststellen mussten, weshalb geeignete Anreizmechanismen wichtig sind. Aber auch für Hochschulen ist es nicht einfach, in der Diskussion um Studentenberge, Exzellenzinitiativen, Bologna-Prozess und Fachkräftemangel das richtige, auch nachfrageorientierte Profil für sich zu entwickeln. Kapazitätsengpässe und fehlende Anreizstrukturen machen es nicht leichter.
In Lehre, Forschung und Weiterbildung sollten die Unternehmen als positiv besetzte Zielgruppe entdeckt und die Zusammenarbeit zum Nutzen beider vorangetrieben werden. Unternehmen haben oft auch ihre eigene "Welt". Dabei können gute Bildungskonzepte und Kooperationen nicht nur für Hochschulabsolventen attraktiv sein und gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter binden, sondern auch gerade dann Existenz sichern, wenn man keine exorbitanten Gehälter zahlen kann. Unternehmen brauchen dafür Kooperationen mit den Bildungsanbietern. Dass dies möglich ist, werden wir auf der Konferenz zeigen.
Hochschulen und Unternehmen pflegen mitunter ihre Vorbehalte gegeneinander. Wir brauchen aber gegenseitige Offenheit, die vielerorts grundsätzlich vorhanden ist, und ein Aufeinanderzugehen. Beide Seiten sollten eigene Ansprüche und Bedarfe klar formulieren und die Gelegenheit zum gemeinsamen Weiterentwickeln nutzen. Deshalb führen wir auf unserer Konferenz auch bewusst beide Seiten zusammen und versuchen, durch aktuelle Zahlen und Szenarien die Brennpunkte zu veranschaulichen, um dann gezielt Lösungen zu entwickeln.